Treibgut

Buchseite und Rezensionen zu 'Treibgut' von Adrienne Brodeur
4.35
4.4 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Treibgut"

Sommer auf Cape Cod. Alle Mitglieder der Familie Gardner verheimlichen etwas. Ken, ein erfolgreicher Geschäftsmann mit Vorzeigefamilie und politischen Ambitionen, versucht mit aller Macht, seine Ehekrise zu verbergen. Abby ist Künstlerin und schämt sich dafür, immer noch auf das Wohlwollen ihres Bruders angewiesen zu sein. Adam, der Vater der zwei, sieht unterdessen seinem 70. Geburtstag entgegen. Um ein letztes Mal als Forscher zu glänzen, setzt der brillante Meeresbiologe heimlich seine Medikamente ab - mit fatalen Konsequenzen. Während Adams Festtag unaufhaltsam näher rückt, verschärfen sich die Konflikte zwischen den Geschwistern. Dann erscheint eine Unbekannte auf der Bildfläche, und bringt alles, woran Abby und Ken geglaubt haben, zum Einsturz.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:464
EAN:9783463000565

Rezensionen zu "Treibgut"

  1. Spannendes Beziehungsdrama

    REZENSION – Eigentlich geschieht gar nicht so viel in „Treibgut“, dem im April vom Kindler Verlag veröffentlichten Roman von Adrienne Brodeur. Den Handlungsrahmen bilden die Vorbereitungen zur großen Party anlässlich des 70. Geburtstags des Meeresbiologen Adam Gardner. Reicht dies für einen 460-Seiten-Roman? Und ob! Denn nicht die Handlung steht bei der amerikanischen Autorin im Vordergrund ihres Romans, sondern das überaus komplizierte Beziehungsgeflecht innerhalb der gutsituierten, in der Öffentlichkeit als musterhaft erscheinenden Vorzeigefamilie mit Vater Adam und den erwachsenen Kindern Ken und Abby. Der Autorin gelingt es auf faszinierende Weise, das in der familiären Abhängigkeit überaus schwierige Miteinander ebenso wie Gegeneinander unterschiedlicher Charaktere psychologisch tiefgründig und sprachlich eindringlich zu schildern, dass gerade dieser hintergründige Kleinkrieg für Spannung sorgt und beim Lesen einen Sog erzeugt, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag.
    Im kapitelweisen Wechsel lernen wir jeweils für sich die Protagonisten immer näher und besser kennen: Adam Gardner blickt voller Sorge und zunehmender Verunsicherung auf seinen bevorstehenden Geburtstag: „Vielleicht war siebzig nicht das Ende der Welt, aber doch ein schwindelerregender Meilenstein, ein Riesenschritt auf den Abgrund der Sterblichkeit zu.“ Der einst erfolgreiche Meeresbiologe - „ein weiterer dummer Wisenschaftler mit Größenwahn, von seinem eigenen aufgeblasenen Ego zu Fall gebracht“ - mag sich nicht damit abfinden, dass er von jüngeren Wissenschaftlern aus seinem Büro gedrängt wird, und versucht, sich selbst zu trösten: „Er war ein Genie, dessen Aufgabe darin bestand, die endlosen Wunder der Tiefe zu erforschen. Er brauchte diesen schäbigen Arbeitsplatz nicht und erst recht nicht die damit verbundenen Scherereien.“ Ein letztes Mal will er sein Können beweisen und die Sprache der Wale entschlüsseln.
    Sein Sohn Ken (41) ist erfolgreicher Immobilienunternehmer, Vater zweier pubertierender Zwillingstöchter, der in mentaler Stärke und unternehmerischem Erfolg seinem Vater nachzueifern versucht. Doch er steckt gerade in einer Ehekrise und leidet psychisch noch immer unter dem Verlust seiner Mutter, die einst bei der Geburt seiner Schwester Abby verstarb, als er erst drei Jahre alt war. Er hat „noch immer die Melodie der Stimme seiner Mutter beim abendlichen Vorlesen im Ohr“. Doch Schwäche darf er sich nicht eingestehen und schon gar nicht nach außen zeigen, bemüht er sich doch gerade um ein politisches Amt.
    Seine unverheiratete Schwester Abby (38) ist Lehrerin und eine bislang noch unbekannte Künstlerin, die dank einer kommenden Reportage in einem Kunstmagazin kurz vor ihrem Durchbruch als Malerin steht. Sie ist im Grunde unselbstständig und vom Wohlwollen ihres Bruders abhängig, dem das von ihr genutzte Atelier gehört. „Immer noch lief sie auf Zehenspitzen um die Launen ihres Bruders herum wie ein rohes Ei. Und um die ihres Vaters auch.“ Doch ihre Schwangerschaft – sie erwartet ein Kind von ihrem verheirateten Jugendfreund David – ist Anlass zur Selbstbefreiung aus familiärer Abhängigkeit.
    Dabei hilft ihr auch die etwa gleichaltrige Polizistin Steph, die sich als ihre Halbschwester zu erkennen gibt, Ergebnis eines Seitensprungs des gemeinsamen Vaters Adam. Das über Jahrzehnte sorgsam bewahrte Bild einer Musterfamilie beginnt langsam zu bröckeln. Lange gehütete Familiengeheimnisse dringen ans Licht. „Wir alle setzen manchmal Masken auf“, stellt Kens Psychiater fest. „Das nennt sich Selbstschutz. ... Man kann vergangenen Schmerz nicht überwinden, ohne ihn zu durchleben. Das nennt sich sonst Leugnen.“ Diese Masken beginnen zu fallen. Alles läuft unaufhaltsam auf eine familiäre Katastrophe zu. So wird „Treibgut“ vor allem in der zweiten Hälfte zu einem spannenden Familienroman und Beziehungsdrama, dessen Lektüre sich unbedingt lohnt.

  1. Familiengeflechte

    n diesem Buch geht es um die Familie Gardener Ken, Abby und Adam. Adam hat früh seine sehr geliebte Ehefrau verloren und er musste seine Kinder Ken und Abby alleine groß ziehen. Er konnte zwischenzeitlich kurzzeitige Affären und eine kurze Ehe vorweisen, doch diese hatten wenig Bestand und zerfielen. Adam beschließt vor seinem 70. Geburtstag seine Medikamente abzusetzen, die seine manische Episode abmildern bis dämpfen. Er ist der Meinung, dass er kurz vor dem Durchbruch sei, bezüglich seiner Walforschung und diese Medikamente hindern ihn an seinem Erfolg.

    Ken ist ein erfolgreicher Immobilienhändler. Er steht im Schatten seiner Frau, dessen Familie sehr viel Geld in die Ehe einbringt. Er kann sich jetzt profilieren, da er ein Seniorenanlage aufbauen kann. Darüber hinaus kriselt seine Ehe und er sieht sich gezwungen zum Psychiater / Psychologen zu gehen um an sich und seiner Ehe zu arbeiten.

    Abby ist die erfolglose und bescheidene Malerin. Sie sieht sich in der Schuld, da ihre Mutter während ihrer Geburt gestorben war. Ihre Mutter war nur ein Schatten in ihrer Kindheit. Durch eine Schwangerschaft versucht sie ihr Leben in neue Bahnen zu bringen.

    Dieses Buch lebt von den Perspektivwechseln. Es hat triviale Anklänge, aber ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt. Es poträtiert sehr schön die einzelnen handelnden Personen und am Ende kommt es zu einem spannenden Showdown, wo bestimmte Themen geklärt werden.

    Fazit: Ein Buch welches mich gut unterhalten hat!

  1. Probleme aus der Welt der Reichen und Schönen

    Mein Hör-Eindruck:

    Cape Cod im Sommer, ein Sommerhaus direkt am Strand, Golfplätze, rauschende Parties und rauschende Meereswogen, Glitzer und Glamour, endlose Strände - und schon sind wir als Leser mitten drin in der Welt der Reichen und Schönen. Da ist Adam, der Senior, ein eitler, aber brillanter Wissenschaftler, was die Buckelwale angeht. Sein Sohn ist ebenfalls brillant als Immobilien-Tycoon, und seine Tochter ist auch brillant, als Künstlerin. Schwiegertochter Jenny ist schön und eine perfekte Gastgeberin. Als Leser ist man geblendet von so viel Schönheit und Brillanz, und daher bietet Steph, eine junge Polizistin aus einer kleinbürgerlichen Familie, einen durchaus willkommenen Kontrast zu den Upper-class-Figuren. Und da der Klappentext Familiengeheimnisse verspricht – immer ein verlockendes Thema -, weiß man, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und dass auch die Schönen und Reichen ihre Kümmernisse haben. Leider liegt das Familiengeheimnis recht schnell auf dem Tisch, sodass keine Spannung entsteht.

    Der Roman ist geschickt aufgebaut, weil jeder Figur ein eigenes Kapitel zugewiesen wird. Dieses multiperspektivische Erzählen bietet die Innensicht und bringt damit den Leser nahe an die einzelnen Figuren heran, ohne dass es zu Redundanzen kommt.

    Alle Figuren zusammen bieten ein gewaltiges Kaleidoskop an Problemen und Themen: sexuelle Übergriffe, Verlustängste, Pubertätskonflikte, Alkoholismus, Freundschaftsprobleme, Ehebruch, Klimaschutz, Biodiversität, Eifersucht, uneheliche Schwangerschaft, homosexuelle Ehen, Eifersucht, psychische Erkrankungen, genetische Defekte, Esoterik, Ehekrisen, Psychotherapien, Sexismus etc. Und nicht zuletzt Tierschutz – was die Tochter aber nicht daran hindert, die Hummer für die abendliche Party in einem Sandloch schön langsam bei lebendigem Leibe zu rösten; das Rezept wird ausführlich vorgestellt. Pfui! Gerade diese Tochter ist aber so eins mit der Natur, dass sie die unterirdische Präsenz von Pilzen an einem Kribbeln im Haar spürt. Eine durchaus praktische Fähigkeit, aber leider nicht glaubhaft. Das alles wird erzählt vor der Kulisse des Wahlkampfes im Jahr 2016, wobei die Damen des Romans die Daumen drücken für Hilary Clinton. Argumente erfährt man als Leser nicht, es reicht, dass sie eine Frau ist.

    Ähnlich oberflächlich und unreflektiert werden die vielen Themen des Buches abgehandelt. Die Autorin öffnet ein Fass nach dem anderen, ohne dass sie nur auf ein einziges den Deckel wieder daraufsetzen kann. Die Figuren entwickeln sich nicht, sie wachsen nicht an ihren Problemen. Sie bleiben daher letztlich blass und gewinnen kaum Konturen über das Klischee hinaus. Die oft witzigen und pointierten Dialoge sind allerdings ein Highlight des Romans.

    Ein großes Lob geht ebenfalls an die Sprecherin Vera Teltz! Aber auch sie kann aus Stroh kein Gold spinnen.

    Wer einen unverbindlichen Roman über die familiären Probleme der Reichen und Schönen lesen möchte, ist mit dem Roman gut beraten.

  1. 5
    28. Apr 2024 

    Alles kommt ans Licht

    Ken und Abby Gardner standen einander als Kinder sehr nahe. Doch ihre Mutter war nach Abbys Geburt gestorben, als Ken drei Jahre alt war, und er hat der Schwester immer die Schuld gegeben. Der Vater Adam, ein bekannter Meeresbiologe, der sich auf Buckelwale spezialisiert hat, zieht seine Kinder allein auf, interessiert sich im Zweifelsfall aber mehr für seine Forschungen als für seine Kinder und hat nicht mitbekommen, dass sich Abby und Ken – inzwischen etwa 38 und 41 Jahre alt – voneinander entfernt haben. Ein Geheimnis aus der Kindheit hat Abby ihr Leben lang gequält. Ken ist ein erfolgreicher Immobilienhändler mit politischen Ambitionen geworden, Abby eine bisher noch nicht besonders erfolgreiche Künstlerin. Sie waren immer schon Rivalen um die Liebe und Aufmerksamkeit des Vaters und später um sichtbaren Erfolg. In Kens Ehe mit Abbys ehemals bester Freundin Jenny kriselt es. Die zwölfjährigen Zwillinge Tessa und Frannie kommen in ein schwieriges Alter und sehen den Vater inzwischen kritisch. Dann hat sich eine bisher unbekannte junge Frau namens Steph mit ihrem kleinen Sohn und ihrer Partnerin Toni in das Leben der Familie gedrängt. Auch hier gibt es etwas Verschwiegenes in der Vergangenheit. Adam Gardner will noch vor seinem bevorstehenden 70. Geburtstag und dem Ausscheiden aus dem Berufsleben zur Krönung seines Lebenswerks das eine große Forschungsergebnis erzielen: die Entschlüsselung der Sprache der Buckelwale. Dabei geht der lebenslang an einer bipolaren Störung leidende Wissenschaftler ein großes Risiko ein. Die Gardners wollen zum 70. Geburtstag des Vaters ein großes Fest geben. Hier kommt es erwartungsgemäß zum großen Showdown, bei dem alle Geheimnisse enthüllt werden.
    Adrienne Brodeur erzählt die Geschichte einer nur nach außen mehr oder weniger intakten Familie aus fünf verschiedenen Perspektiven, so dass der Leser schon lange vor den Betroffenen weiß, was an schmerzlichen Erfahrungen und Geheimnissen so lange verschwiegen wurde. Die Autorin entwickelt das inzwischen gängige Thema der dysfunktionalen Familie geschickt und facettenreich. Die Flora und artenreiche Fauna der Küste bei Cape Cod spielen eine besondere Rolle, vor allem Buckelwale, Gardners mit dem Jahr 2016 auch die entscheidende Phase vor der Präsidentschaftswahl, die Amerika grundlegend veränderte. Ein gut lesbarer Roman, der mich dazu veranlasst, jetzt auch “Wild Game“, Brodeurs autofiktionalen Vorgänger aus dem Jahr 2019 zu lesen.

  1. Familie auf Cape Cod

    Adam, ein siebzigjähriger Meeresbiologe, immer noch begeistert von den Schnittpunkten der Mathematik mit der Kunst, der Magie mit den Wissenschaften und den Walen in dem Ozean vor seiner Haustüre auf Cape Cod. In seinen manischen Phasen ist er überzeugt, dass er kurz vor dem Durchbruch zu einer großen Entdeckung ist, die in den Gesängen der Wale schlummert. In seinen depressiven Phasen stürzt er ab, in eine tiefe Schwärze der Sinnlosigkeit von aller Existenz.
    Seine beiden Kinder, Ken und Abby hat er im Sturm dieser Krankheit allein aufgezogen. Die Mutter der Kinder, seine große Liebe, hat er nach der Geburt der Tochter verloren.
    Beide Kinder sind in großer Freiheit, in einer engen Symbiose aufgewachsen, sie hatten sich selbst und gaben sich gegenseitig Halt .
    In diesem einsamen Biotop entwickelten sich seelische Verzweigungen, die die Autorin im Laufe der Geschichte enthüllt, bis zu einem großen Showdown, bei dem sich jeder bekennen muss.
    Der Roman ist eingebettet in die Beschreibungen der eindrucksvollen Natur von Cape Cod. Die Schreibweise der Autorin ist schnörkellos, gleicht der Landschaft, in der sie auch zuhause ist. Ohne Pathos und Überschwang, ohne "tiefgründelnde" Psychoanalyse, einfach und klar beschreibt sie die Personen in ihrem Alltag.
    Das Cover des Buches ist ein Ausschnitt des Gemäldes "Strand bei Ebbe" von Frederick Milner. Es ist ausgezeichnend zu diesem Buch ausgewählt.
    Ein Buch, das dem Leser Lesevergnügen schenkt.
    Mit dem Originaltitel:"Little Monsters" hätte mich das Buch nicht interessiert.
    Gut, dass man für die deutsche Ausgabe einen anderen Titel gewählt hat.

  1. Ein Sommerstück.

    Kurzmeinung: Müsste man am Meer lesen! Sehr schöner Urlaubsroman - leicht und spannend.

    Cape Cod. Schöne Gegend. Die Wohlhabenden wohnen hier, die beinahe Wohlhabenden machen hier Ferien. Sonne. Strand. Wind. Segelboote, Möwen, alte Villen, Künstler und Walbeobachtung. Das ist das Ambiente des Romans „Treibgut“. Dort lebt auch laut Klappentext die Autorin, weswegen die Atmosphäre der Insel völlig authentisch wirkt.
    Ein alternder Professor für Meeresbiologie und seine Entourage. Obwohl der Professor Monologe über Wale liefert, und damit der Autorin Gelegenheit bietet, einige Informationen über diese großartigen Meeressäuger einfließen zu lassen, ist Adam Gardener nicht der Wissenschaftler, den man so erwartet, akkurat, rational, faktenorientiert. Denn Gardener leidet an einer bipolaren Störung und ist lustig selbstverliebt. Er hat seine Krankheit einigermaßen im Griff, aber eben nur einigermaßen, es gibt noch genug weiße Flächen in seinem Leben, denen er eben nicht Herr geworden ist und das ist seine Familie. Freilich ist er außerstande, seine Mankos zu erfassen. Zum Leidwesen seiner Kinder. Zur Erheiterung der Leser.
    Selbstbild und Fremdwahrnehmung des Meeresbiologen klaffen also erheblich auseinander. Adam Gardener ist selbstbezogen, hält sich für ein Genie und denkt, er sei ein wunderbarer Vater gewesen. Womanizer. Mehrmals verheiratet. Auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. In Wirklichkeit aussortiert, da er mit der modernen Zeit nicht mithalten kann und, mit Verlaub, einfach zu alt ist. Er wird 70 Jahre alt und aus diesem Anlass soll seine Schwiegertochter ein großes Fest organisieren, das natürlich ein Fiasko wird. Adam hat immer dann geistige Höhenflüge, wenn er seine Medikamente absetzt. Und er findet immer wieder eine Rechtfertigung dafür, dies zu tun. Mit Medikamentation hat er Depressionen und sein Denken und Fühlen ist verlangsamt. Ohne Medis aber, fängt die Welt an zu schwingen. Nur dumm, dass er dann nicht mehr schlafen kann und ellenlange sinnentleerte Monologe hält, so dass alle schnell weglaufen.
    Bipolarität ist eine schwere Persönlichkeitsstörung, die den Betroffenen das Leben zur Hölle machen kann. Es ist ein tragisches Krankheitsbild. Diese Tragik kommt in dem Roman zu kurz. Man amüsiert sich eher als dass man mitleidet. Für die Tragik brechen sich alte Familiengeheimnisse allmählich Bahn. Die erwachsenen Kinder Ken und Abby haben ihre Jugend am Meer sehr unterschiedlich verarbeitet. Der frühe Verlust der Mutter hat beiden einen Knacks versetzt. Ken versucht mithilfe seines Psychiaters seine Jugend aufzuarbeiten. Abby bannt in eigenartigen großflächigen Bildern ihre Erinnerungen auf die Leinwand, was Ken einen Höllenschrecken einjagt.

    Der Kommentar und das Leseerlebnis:
    Die Protagonisten auf Cap Cod setzt die Autorin hübsch in Szene. Mit einem Menschen von außen, Steph, bekommt die Leserschaft nicht nur den inneren Blick der Familie durch den Sohn Ken, den Vater Adam und Tochter Abby und durch Jenny (Kens Frau), sondern auch einen Blick von außen geliefert.
    Die Familiengeheimnisse sind, was sie immer sind. Ich will sie nicht verraten, aber es gibt nicht so viel Auswahl. Sie sind immer schmutzig und immer schmerzlich.

    Die Autorin hatte mich lange Zeit am Bändel, ihre Figuren hatten interessante Berufe und interessante Probleme. Kens widerwillige psychiatrische Sitzungen mit seinem Psychiater sind wirklich erheiternd, sein Charakter widerspenstig. Abby, ist unsere Hero, strahlend reine Weste, eine gläserne Villa in den Dünen und Frida, the Hund machen uns Spaß. Adam mit seinen selbstverliebten Gedanken, fern jeder Realität sowieso. Lebendige Dialoge. Aber nach zwei Dritteln verliere ich das Interesse. Warum ist das so?
    Erstens wegen der Geheimnisse. Zu durchschaubar und nachdem sie nun einmal an den Tag getreten sind, gibt es keine Interaktion mehr unter den Figuren. Die Interaktion ist überhaupt der schwächste Punkt des Romans. Auch schon vor der Aufdeckung. Zweitens wegen der Geheimnisse. Schlimme Familiengeheimisse sind immer ein Schwachpunkt. Schwierig, Klischees dabei zu vermeiden. Falls ihr unter 35 seid, versäumt es nicht, eure Eltern zu fragen, ob ihr irgendwo geheime Geschwister habt, ob sie (oder auch Tanten, Onkel und Großväter) Nazis gewesen sind oder Kommunisten und ob sich auf dem Dachboden ein Koffer mit kompromittierenden Briefen befindet oder mit Falschgeld. Und dann gibt es noch sexuelle Geheimnisse. Also, wie gesagt, die Auswahl ist eigentlich gar nicht so groß. Aber das nur am Rande. Ein weiterer Schwachpunkt ist der Transport von Gefühlen. Seid ihr über 35 lohnt sich die Aufdeckung von Familiengeheimnissen meines Erachtens nicht mehr, nehmt alles hin, wie es eben ist. Es sei denn, ihr bekommt von irgendwo her eine Million vererbt oder ein Cottage in Südengland. Aber, wie gesagt, das nur am Rande. Das mit dem Cottage, sorry, tut mir wirklich leid, ist sehr unwahrscheinlich.
    „Treibgut“ macht Spaß, es ist ein Roman, der einen vorwärtsstrebenden Plot hat, es ist immer etwas los, obwohl es auch erhellende Rückblenden gibt. Aber es fällt der Autorin schwer, die Gemütslage der Protagonisten anders darzustellen als durch einige Äußerlichkeiten, Alkohol, Distanzierung, Selbstgespräche, Hund. Und dann hätten wir noch die Natur. Obwohl die Naturpassagen wirklich schön sind, treten sie kaum in Bezug zu den Protagonisten.

    Fazit: Stilsicher und ziemlich amüsant, bis die Familiengeheimnisse zu sehr Raum greifen und dann doch nicht wirklich besprochen werden.

    Kategorie: Sommerroman. Gute Unterhaltung.
    Verlag: Kindler, 2024