Zauber der Stille
Als Caspar David Friedrich im Jahr 1774 als Sohn eines Seifensieders in Greifswald auf die Welt kommt, ist natürlich noch nicht daran zu denken, dass er einmal Maler wird. Nach dem frühen Tod seiner Mutter und auch des Bruders beginnt er 1794 mit dem Studium in Kopenhagen. Vier Jahre bleibt er dort. Ob er dort seine Liebe zum Wasser festigt, seinen Blick in den Himmel, die Wolken findet, seine Malerei des Lichts? Doch wird er zu Lebzeiten nicht so bekannt, wie zu glauben wäre. Zwar hat er bekannte Kunden. Doch in seinen letzten Jahren ist er fast vergessen.
Wie ein Träumer wirkt der Maler Caspar David Friedrich manchmal. Etwas verstiegen, doch hin und wieder blitzt sein Humor auf. Mit Malerkollegen pflegt er langjährige Freundschaften. Von Goethe ist er eine Art Fan, stoßt aber nicht auf große Gegenliebe. Und irgendwann hat er auch genug. Relativ spät erst heiratet er und er genießt das Glück der Ehe. Seine Frau und er bekommen drei Kinder, um die er sich sorgt und sie sich kümmert. Es ist nicht immer leicht ein solides Einkommen zu erzielen, um die Familie zu ernähren. Und noch schwieriger wird es als er nach einem Schlaganfall erstmal nicht mehr malen kann.
Zweihundertfünfzig Jahre nach seiner Geburt wird Caspar David Friedrich mit einigen Ausstellungen geehrt. Ob das der Anlass für den Autor war dieses Buch zu schreiben? Jedenfalls ist ihm ein beeindruckendes Werk gelungen. In vier Teilen öffnet er einen besonderen Blick auf den Maler, der fasst vergessen, leider instrumentalisiert und schließlich als außergewöhnlicher Künstler wiederentdeckt wurde. Gerade im ersten Teil geht es um Bilder, die die Zeit nicht überstanden haben. Werke, die unwiederbringlich verloren sind. Wie tragisch. Im weiteren geht es um den wechselvollen Weg der Bilder in die heutige Zeit. Verkaufen, verloren gehen, wieder aufgefunden werden. Da sind schon echte Räuberpistolen dabei, die beim Lesen fesseln. Der liebevolle Blick auf das Leben des Malers und seiner Bilder lassen das Buch zu einer berührenden Lektüre werden. Man bekommt eine Friedrichsche Empfindung, die man im Gedächtnis behalten möchte.
4,5 Sterne
Mein Lese- und Hör-Eindruck:
„Auf dem Segler“: ein junges Paar auf einem Segler, der Wind bläht die Segel, das Paar hält sich an den Händen und schaut in die Fahrtrichtung, wo das Ziel dieser gemeinsamen Reise liegt: eine Stadtsilhouette zeigt sich in irrisierendem Licht. Mit diesem Bild des Covers führt der Autor seine Leser sofort mitten in die Malerei Caspar David Friedrichs ein.
Ein liebendes Paar auf seiner Lebensreise, umgeben von den Elementen Wind und Wasser, das Element Erde als Ziel vor ihren Blicken: das ist der Maler mit seiner jungen Frau Caroline auf dem Weg von Greifswald, Friedrichs Heimatstadt, zurück nach Dresden. Das vierte Element, das des Feuers, verortet Illies in Friedrichs glühender Liebe zu seiner Frau. Da knirscht der Bezug zwar etwas, und solche kurzen Knirscher wird es immer wieder geben, aber immerhin: Illies hat ein Ordnungsprinzip für sein Buch gefunden, nämlich die vier Elemente.
Das erste Kapitel „Feuer“ bricht unverhofft mit der Idylle des Coverbildes und beschreibt den Brand des Glaspalastes 1931 in München, dem unter anderem neun Werke von Friedrich zum Opfer fallen. Dieser gewaltige Brand ist nicht der einzige Brand, der Gemälde unrettbar vernichtet, es folgen kriegsbedingte und andere Brände, z. B. in der väterlichen Kerzenzieherei, der Brand im Dresdner Taschenberg.-Palais oder der Brand im Bunker Friedrichshain am Ende des II. Weltkriegs. Und allmählich versteht man als Leser, wieso C. D. Friedrich so lange Zeit in Vergessenheit geraten konnte: zu viele Bilder waren zerstört worden, und die erhaltenen waren wegen der fehlenden Signatur nicht zuzuordnen.
Schon im 1. Kapitel zeigt sich Illies Vorgehen. Er verzichtet auf die Chronologie, sondern konzentriert sich auf durchgängige Erscheinungen. Er beschreibt z. B. einige Bilder, zunächst eher vordergründig, aber geht dann der Geschichte dieser Bilder durch die Jahrhunderte nach und erzählt von abenteuerlichen Diebstählen, von raffinierten Kunsthändlern und Museumsdirektoren, von Einflüssen und Querverbindungen.
Die ungeheure Recherchearbeit des Autors ist nicht zu übersehen. Das Buch hat aber keinerlei Schwere. Illies bringt seine Kenntnisse und diese unglaublich vielen Zusammenhänge eher plaudernd und auch mit persönlichen Kommentaren an den Leser heran. Der Leser holpert also nicht schwerfällig in einem wissenschaftlichen Karren einen steinigen Weg entlang, sondern er unternimmt mit dem Autor eine, wie es der Untertitel schon sagt, eine Reise durch die Zeiten, temporeich und äußerst kurzweilig.
Alles lernt der Leser schließlich kennen: den künstlerischen Werdegang, seine Traumatisierung durch den Tod des Bruders, der ihn vor dem Ertrinken rettete, seine lebenslange Schwermut, seine tief religiöse Grundhaltung, seine Familie, seinen Dresdner Freundeskreis, seine Ablehnung des klassischen Kunstideals („Erinnerungen, nichts als kalte, tote Erinnerungen“), sein schwieriges Verhältnis zu Goethe (und umgekehrt), sein Verhältnis zur Natur, seine Kunstauffassung, seine Montage-Technik, seine finanzielle Not, sein Wesen und so fort.
Die Reise geht aber weiter z. B. zu Friedrichs Einfluss auf Walt Disney und dessen „Bambi“-Film, aber immer wieder stockt sie in der Zeit des Nationalsozialismus. Caspar David Friedrich war ein Mensch, der zutiefst seine Heimat liebte („Erde“) und der in der Zeit der napoleonischen Besatzung mit den Waffen kämpfte, die er zur Verfügung hatte, nämlich seiner Kunst: er malte Hünengräber und Landschaften mit mächtigen Eichen, d. h. er beschwor die „Kräfte der Vergangenheit“, wie Illies es nennt. Und genau das dient den Nationalsozialisten zum Vorwand, diesen schwermütigen, traumverlorenen Maler zu einem germanischen Helden umzustilisieren.
Sehr ausführlich widmet sich Illies besonders zwei Bildern. „Gescheiterte Hoffnung“ (1842) ist das eine, und Illies hebt deutlich den persönlichen Hintergrund des Malers hervor, dessen Hoffnung auf eine besser bezahlte Stelle eines Ordentlichen Professors in Dresden sich zerschlagen hatte. Seine Bilder seien „zu trübsinnig“.
Das andere ist das radikalste und wohl modernste Bild: „Mönch am Meer“. Ein Bild, das einen Menschen in all seiner Verlorenheit vor der mächtigen Natur zeigt und Kleist zu der Bemerkung veranlasste, es sei, als ob einem die Augenlider weggeschnitten seien. Kleist erschoss sich wenige Tage später.
Illies‘ Begeisterung für den Maler springt auf den Leser über. Was mir aber über alle Maßen gut gefällt, ist die Tatsache, dass Illies den Maler aus seiner Vergangenheit herausholt und in unsere Zeit stellt. Vergangenheit und Gegenwart werden durch die vielen Bezüge miteinander verflochten.
Illies lässt die Bilder Caspar David Friedrichs über die Jahrhunderte hinweg zu uns sprechen. Und eine solche Belebung der Geschichte finde ich in den aktuellen Zeiten von Geschichtsvergessenheit wichtiger denn je.
5/5*
Eine literarische Schatzkiste
„Denn der Himmel glüht wie Feuer, das Wasser steht majestätisch still, die Erde schweigt und die Luft flüstert uns ein Geheimnis zu. Friedrich lässt hier aus dem Tosen der vier Elemente plötzlich den Zauber der Stille entstehen.“ (Zitat Seite 38)
Thema und Inhalt
Dieses Buch ist keine Biografie, sondern ein breit angelegtes Bild einer Epoche, das uns nicht nur durch die Malerei, sondern gleichzeitig durch zweihundertfünfzig Jahre deutsche Zeitgeschichte führt. Im Mittelpunkt stehen Caspar David Friedrich, Episoden aus seinem Leben und seine Bilder. Doch der Weg führt weiter, zum Beginn des 20. Jahrhunderts, als seine Werke als altmodisch galten und niemanden interessierten, zu seiner Wiederentdeckung und die rasch erwachende Begeisterung und Faszination für seine Werke, die bis heute anhält.
Umsetzung
Im Mittelpunkt der ersten Geschichte „Auf dem Segler“, gleichsam eine Einleitung, steht seine Hochzeitsreise auf die Insel Rügen und die Überfahrt nach Stralsund, ein Ausschnitt des später dazu entstandenen Gemäldes bildet den Buchumschlag.
Es folgen vier große Abschnitte, die den vier Elementen entsprechen: Feuer, Wasser, Erde, Luft, eine Einteilung, die der Liebe zur Natur des Künstlers folgt. Episoden aus dem Leben Caspar David Friedrichs, werden mit der Entstehung von Bildern zum jeweiligen Thema, mit geschichtlichen Ereignissen und dem weiteren Weg der Bilder verbunden. Gleichzeitig erhalten wir einen tiefen Einblick in Caspar David Friedrichs Entwicklung als Künstler, von der Zeichnung zur Farbe, in seine Beweggründe und die Höhen und Tiefen seines Lebens. „Ich muß allein bleiben und wissen, dass ich allein bin, um die Natur vollständig zu schauen und zu fühlen. Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin.“ (Zitat Seite 230, Aussage CDF)
Wir begegnen Weggefährten und späteren Bewunderern seiner Werke. Die vielen unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen sich Florian Illies dem Künstler nähert, und die interessante Vielfalt der Themen sind das Resultat einer ausführlichen, genauen Recherche und machen dieses Buch zu einer literarischen Schatzkiste, die man neugierig öffnet und begeistert liest.
Am Buchende finden sich eine Zeittafel, Vorschläge für weiterführende Literatur und der Abbildungsnachweis zu den vier Bildern, die jeweils einen Abschnitt einleiten.
Fazit
Florian Illies erzählt die Geschichte Caspar David Friedrichs, indem er dem Spuren seiner Bilder folgt, von der Entstehung bis heute. Er spürt auch den Weg der nicht mehr vorhandenen Bilder auf, ergründet die Ursachen ihres Verschwindens. So ergibt sich ein breit gefächerter, poetischer und beeindruckender Spaziergang durch die Zeit.