Kennen Sie die uralte Ballade von den zwei Königskindern („Sie konnten beisammen nicht kommen")? Dann wissen Sie auch schon beinahe, um was es in dem Buch von Hedman geht.
Das Motiv einer tragisch scheiternden oder zwar nicht scheiternden, aber dennoch tragisch endenden Beziehung zwischen Mann und Frau dürfte literaturgeschichtlich eine der in einem Buch (oder eben auch einer Ballade) meist beschriebenen Konstellationen zwischenmenschlicher Beziehungen darstellen. Die Häufigkeit dieses Motivs beinhaltet für den Leser/die Leserin die Gefahr, dass sich die Geschichte, die dem Buch zugrunde liegt, vorhersehbar entwickelt, also nicht mehr die Originalität besitzt, die man beim Lesen eigentlich erwartet. Über viele Jahrzehnte hinweg lässt sich deswegen beobachten, dass Geschichten, die sich mit diesem Motiv erfolgreich beschäftigen, ein zumindest gleichwertiges Zweitthema, das mit der Beziehungsgeschichte zwischen Mann und Frau geschickt verknüpft wird, enthalten. Ohne Anspruch auf eine repräsentative Aufzählung sei in diesem Zusammenhang auf Dostojewskis „Spieler" (die Beziehung zwischen Polina und Aleksej wird mit einer beeindruckenden Schilderung der Spielsucht verbunden), auf Remarques „Die drei Kameraden" (die Verbindung zwischen Robby und Pat entwickelt sich vor dem politischen Hintergrund der Weimarer Republik), auf Capotes „Frühstück bei Tiffany" (nein, im Gegensatz zu dem Hollywood-Film scheitert in dem Buch die Beziehung zwischen Holly und dem von ihr so genannten „Fred" , aber verbunden mit dem gleichwertigen Thema des Versuchs einer jungen Frau innerhalb eines unbarmherzigen Sozialklimas aufzusteigen), aber auch auf Kirchhoffs „Widerfahrnis" (die Beziehungsgeschichte zwischen Reither und Leonie wird mit einem literarischen Roadmovie, nämlich mit der Beschreibung einer Fahrt nach Süditalien verbunden) hingewiesen.
Hedman geht anders vor. Sie bleibt bei der reinen Beziehungsgeschichte, variiert diese aber durch die Einführung einer dritten Person zu einer Dreiecksgeschichte. Im Fokus des Buchs stehen aber dennoch lediglich zwei Personen, nämlich Thora und Hugo und die sich zwischen ihnen über mehrere Monate hinweg aufbauende Verbindung. Und genau diese, trotz Einführung einer dritten Person zu beobachtende Fokussierung auf die Verbindung zwischen Thora und Hugo stellt die Schwäche des Buchs dar, denn dadurch wird der Verlauf der Geschichte vorhersehbar und besitzt mangels eines zweiten Themas keinen Überraschungseffekt, der zu Originalität führen würde, mehr.
Worum geht es? Thora und Hugo studieren in Stockholm. Sie stammen aus völlig unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Während Thora die Tochter einer begüterten Industriellenfamilie ist, handelt es sich bei Hugo um einen Studenten, der sich sein Studium weitgehend selbst verdienen muss. Sie lernen sich kennen, als Hugo in der sehr großzügigen und großbürgerlichen Wohnung der Eltern von Thora Untermieter wird. Thora ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit August (der dritten Person in der Dreiecksgeschichte) verbunden. Während Thora das Eindringen von Hugo in diese Verbindung zunächst negativ empfindet, wird Hugo von August sehr freundlich aufgenommen. Hieraus folgt eine zunächst rein freundschaftliche Beziehung zwischen Hugo und Thora, aus der später Liebe entsteht. Das Buch beschreibt die Entstehung dieser Liebe, die dazu führt, dass August zwar nicht zur Randfigur wird, erzähltechnisch von Hedman aber etwas zurückgenommen wird. Im letzten Drittel des Buchs beschreibt Hedman das Scheitern der Liebe, das letztendlich auf die zu starken Egos und schwierigen Persönlichkeitsstrukturen der beiden Protagonisten zurückzuführen ist. Dabei gelingen ihr großartige Psychogramme, die allein durch die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten entstehen, also außerhalb dieser Dialoge ohne jegliche weitere Erklärung auskommen.
Gleichwohl dominiert bei mir nach dem Ende der Lektüre der Aspekt der Vorhersehbarkeit hinsichtlich des Verlaufs der Geschichte. Dabei übersehe ich nicht, dass Hedman eine originelle Erzählstruktur gewählt hat, indem sie die Geschichte von Thora und Hugo wechselweise jeweils von den Protagonisten selbst erzählen lässt. Ich übersehe auch nicht, dass das Buch nicht nur großartige Psychogramme, sondern auch sehr schöne Sprachbilder enthält. So wird zum Beispiel auf Seite 323 die skandinavische Mitsommernacht wie folgt beschrieben: „Die Nächte waren so hell, dass das spröde Blau, das sich auf uns herabsenkte, wenn es Abend wurde, fast schon unnatürlich wirkte, als strömte es durch den Spalt zu einer anderen Welt." Schöner kann man eigentlich das Farbspiel einer schwedischen Mitsommernacht nicht mehr beschreiben.
Es mag sein, dass andere Leser bzw. Leserinnen diese positiven Details des Buchs von Hedman im Verhältnis zu der nach meiner Auffassung gegebenen Vorhersehbarkeit der Geschichte anders gewichten. Für mich dominiert der Eindruck, dass man aus diesem Buch etwas mehr hätte machen können. Deswegen auch meine Wertung: vier von fünf Sternen.
Zwei Königskinder des 21. Jahrhunderts
Zwei Königskinder des 21. Jahrhunderts
Kennen Sie die uralte Ballade von den zwei Königskindern („Sie konnten beisammen nicht kommen")? Dann wissen Sie auch schon beinahe, um was es in dem Buch von Hedman geht.
Das Motiv einer tragisch scheiternden oder zwar nicht scheiternden, aber dennoch tragisch endenden Beziehung zwischen Mann und Frau dürfte literaturgeschichtlich eine der in einem Buch (oder eben auch einer Ballade) meist beschriebenen Konstellationen zwischenmenschlicher Beziehungen darstellen. Die Häufigkeit dieses Motivs beinhaltet für den Leser/die Leserin die Gefahr, dass sich die Geschichte, die dem Buch zugrunde liegt, vorhersehbar entwickelt, also nicht mehr die Originalität besitzt, die man beim Lesen eigentlich erwartet. Über viele Jahrzehnte hinweg lässt sich deswegen beobachten, dass Geschichten, die sich mit diesem Motiv erfolgreich beschäftigen, ein zumindest gleichwertiges Zweitthema, das mit der Beziehungsgeschichte zwischen Mann und Frau geschickt verknüpft wird, enthalten. Ohne Anspruch auf eine repräsentative Aufzählung sei in diesem Zusammenhang auf Dostojewskis „Spieler" (die Beziehung zwischen Polina und Aleksej wird mit einer beeindruckenden Schilderung der Spielsucht verbunden), auf Remarques „Die drei Kameraden" (die Verbindung zwischen Robby und Pat entwickelt sich vor dem politischen Hintergrund der Weimarer Republik), auf Capotes „Frühstück bei Tiffany" (nein, im Gegensatz zu dem Hollywood-Film scheitert in dem Buch die Beziehung zwischen Holly und dem von ihr so genannten „Fred" , aber verbunden mit dem gleichwertigen Thema des Versuchs einer jungen Frau innerhalb eines unbarmherzigen Sozialklimas aufzusteigen), aber auch auf Kirchhoffs „Widerfahrnis" (die Beziehungsgeschichte zwischen Reither und Leonie wird mit einem literarischen Roadmovie, nämlich mit der Beschreibung einer Fahrt nach Süditalien verbunden) hingewiesen.
Hedman geht anders vor. Sie bleibt bei der reinen Beziehungsgeschichte, variiert diese aber durch die Einführung einer dritten Person zu einer Dreiecksgeschichte. Im Fokus des Buchs stehen aber dennoch lediglich zwei Personen, nämlich Thora und Hugo und die sich zwischen ihnen über mehrere Monate hinweg aufbauende Verbindung. Und genau diese, trotz Einführung einer dritten Person zu beobachtende Fokussierung auf die Verbindung zwischen Thora und Hugo stellt die Schwäche des Buchs dar, denn dadurch wird der Verlauf der Geschichte vorhersehbar und besitzt mangels eines zweiten Themas keinen Überraschungseffekt, der zu Originalität führen würde, mehr.
Worum geht es? Thora und Hugo studieren in Stockholm. Sie stammen aus völlig unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Während Thora die Tochter einer begüterten Industriellenfamilie ist, handelt es sich bei Hugo um einen Studenten, der sich sein Studium weitgehend selbst verdienen muss. Sie lernen sich kennen, als Hugo in der sehr großzügigen und großbürgerlichen Wohnung der Eltern von Thora Untermieter wird. Thora ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit August (der dritten Person in der Dreiecksgeschichte) verbunden. Während Thora das Eindringen von Hugo in diese Verbindung zunächst negativ empfindet, wird Hugo von August sehr freundlich aufgenommen. Hieraus folgt eine zunächst rein freundschaftliche Beziehung zwischen Hugo und Thora, aus der später Liebe entsteht. Das Buch beschreibt die Entstehung dieser Liebe, die dazu führt, dass August zwar nicht zur Randfigur wird, erzähltechnisch von Hedman aber etwas zurückgenommen wird. Im letzten Drittel des Buchs beschreibt Hedman das Scheitern der Liebe, das letztendlich auf die zu starken Egos und schwierigen Persönlichkeitsstrukturen der beiden Protagonisten zurückzuführen ist. Dabei gelingen ihr großartige Psychogramme, die allein durch die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten entstehen, also außerhalb dieser Dialoge ohne jegliche weitere Erklärung auskommen.
Gleichwohl dominiert bei mir nach dem Ende der Lektüre der Aspekt der Vorhersehbarkeit hinsichtlich des Verlaufs der Geschichte. Dabei übersehe ich nicht, dass Hedman eine originelle Erzählstruktur gewählt hat, indem sie die Geschichte von Thora und Hugo wechselweise jeweils von den Protagonisten selbst erzählen lässt. Ich übersehe auch nicht, dass das Buch nicht nur großartige Psychogramme, sondern auch sehr schöne Sprachbilder enthält. So wird zum Beispiel auf Seite 323 die skandinavische Mitsommernacht wie folgt beschrieben: „Die Nächte waren so hell, dass das spröde Blau, das sich auf uns herabsenkte, wenn es Abend wurde, fast schon unnatürlich wirkte, als strömte es durch den Spalt zu einer anderen Welt." Schöner kann man eigentlich das Farbspiel einer schwedischen Mitsommernacht nicht mehr beschreiben.
Es mag sein, dass andere Leser bzw. Leserinnen diese positiven Details des Buchs von Hedman im Verhältnis zu der nach meiner Auffassung gegebenen Vorhersehbarkeit der Geschichte anders gewichten. Für mich dominiert der Eindruck, dass man aus diesem Buch etwas mehr hätte machen können. Deswegen auch meine Wertung: vier von fünf Sternen.