Kurzmeinung: Wo bleibt der Esprit, der Schwung, die Erzählung?
Lilly Gollackner greift die Idee des Romans „Die andere Hälfte“ (2021) von Christina Sweeney-Baird auf (guter Roman), legitimerweise, und verändert sie: eine Welt ohne Männer legt sie uns vor- wie Christina. Die Hälfte der Menschheit ist beim sogenannten „Großen Sterben“ verschwunden. Seitdem sind die Frauen unter sich. Ruth, einst Wissenschaftlerin, kann sich gut an die alten Zeiten erinnern, jetzt ist sie im Führungsgremium diejenige, die das Zepter in der Hand hält, in wichtigen Angelegenheiten gilt ihre alleinige Entscheidung. Ihr Gremium möchte sie nun gerne durch eine Jüngere ersetzen. Kann das gut gehen?
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Das Gute an dem Roman sind seine starken Schlagworte, „das große Sterben“, „der Verdichtungskrieg“, zum Bespiel. Aber schon der Verdichtungskrieg wird höchstens verbalisiert und nicht gezeigt. Gezeigt wird sehr wenig, etwas Handlung gibt es schon, natürlich, aber das Gros der Story wird erzählt, nicht gezeigt (show, don’t tell) und das in leider recht langweiligen, anspruchslosen Dialogen.
Abgesehen von der überaus kurz gehaltenen Darstellung eines neuen Familienmodells wird nicht ausgeführt, wie eine männerlose Gesellschaft funktioniert und aussieht. Es funktioniert, basta. Und den Männern mit ihrem testosterongesteuerten Auftreten muss nicht nachgeweint werden. Basta.
Der Roman „Die Schattenmacherin“ ist eine Dystopie und keine Dystopie kommt ohne Kuppeln aus, in denen die Menschheit jetzt lebt. Ich bin kurz amüsiert. Jedoch: Der Fokus des Romans liegt einzig und allein auf dem Konkurrenzkampf bzw. auf dem von Ruth geführten Abwehrkampf gegen die künftige Chefin, Ania, die Ruth, gemäß dem Wunsch/Befehl des Regierungsgremiums aufbauen und auf die künftige Aufgabe vorbereiten soll. Aber Ruth hat ein Geheimnis. Natürlich. Und Ania kommt ihr auf die Spur. Natürlich. Davon lebt der Roman. So halb, so ganz lebt er nirgendwo.Ich seufze. So lapidar. So vorhersehbar. So öde.
Was gar nicht stimmig ist, ist die Zeitspanne, innerhalb derer eine so gewaltige Umwälzung von Kultur und Gesellschaft stattgefunden haben soll. Im Alter von 30 Jahren ist Ruth noch in der alten Welt beheimatet und mit 70 Jahren, also nur 40 Jahre später soll sie wieder abtreten und innerhalb dieser doch sehr kurzen Zeitspanne soll sich quasi alles verändert haben, wie ging dies vonstatten? Mehr als Andeutungen und Behauptungen werden nicht geliefert. Die Neuordnung, der Kampf darum, das wäre alles so interessant gewesen! Genau so wie der Kampf um das Überleben! Aber nix!
Wie sieht heute die Kultur aus, die Wirtschaft, der Fortschritt, die Kunst, die Wissenschaft? Wie ist das gesamtsoziale Gefüge, wie wurde alles geordnet? Im gesamten Roman gibt es kein Volk, keine Menge, keine Rassen, keine Probleme, keine Politik, nur die Führungsriege tänzelt ein wenig herum, erinnert sich und beharkt sich. Das ist zu wenig. Viel zu wenig.
Dazu kommen Stilfragen. Gefühlt auf jeder Seite wird phrasenhaft tief Luft geholt und geatmet. Klar, es muss geatmet werden. Aber ohne alle die anderen Körperfunktionen gehts auch nicht; von denen aber nicht die Rede ist. Wann streichen die Lektoren diese sinnfreie Phrase des Luftholens aus den Romanen? Abgesehen von den Phrasen ist der Stil leider immer noch flach, hölzern und vor allem vollkommen witzfrei. Bester Satz: „Wir betraten die Wälder nicht mehr“. Aber wie sagt man so schön - ein Satz macht noch keinen Sommer, äh, Schwalbe.
Fazit: So gern ich Dystopien habe, diese hier macht keinen Spaß. Ich bin enttäuscht. Der Ansatz ist ganz ok, aber man hätte den Roman mehr ausformen und ausführen, stilistisch bereinigen und insgesamt hochwertiger schreiben müssen. Vielleicht das nächste Mal.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer!
Kurzmeinung: Wo bleibt der Esprit, der Schwung, die Erzählung?
Lilly Gollackner greift die Idee des Romans „Die andere Hälfte“ (2021) von Christina Sweeney-Baird auf (guter Roman), legitimerweise, und verändert sie: eine Welt ohne Männer legt sie uns vor- wie Christina. Die Hälfte der Menschheit ist beim sogenannten „Großen Sterben“ verschwunden. Seitdem sind die Frauen unter sich. Ruth, einst Wissenschaftlerin, kann sich gut an die alten Zeiten erinnern, jetzt ist sie im Führungsgremium diejenige, die das Zepter in der Hand hält, in wichtigen Angelegenheiten gilt ihre alleinige Entscheidung. Ihr Gremium möchte sie nun gerne durch eine Jüngere ersetzen. Kann das gut gehen?
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Das Gute an dem Roman sind seine starken Schlagworte, „das große Sterben“, „der Verdichtungskrieg“, zum Bespiel. Aber schon der Verdichtungskrieg wird höchstens verbalisiert und nicht gezeigt. Gezeigt wird sehr wenig, etwas Handlung gibt es schon, natürlich, aber das Gros der Story wird erzählt, nicht gezeigt (show, don’t tell) und das in leider recht langweiligen, anspruchslosen Dialogen.
Abgesehen von der überaus kurz gehaltenen Darstellung eines neuen Familienmodells wird nicht ausgeführt, wie eine männerlose Gesellschaft funktioniert und aussieht. Es funktioniert, basta. Und den Männern mit ihrem testosterongesteuerten Auftreten muss nicht nachgeweint werden. Basta.
Der Roman „Die Schattenmacherin“ ist eine Dystopie und keine Dystopie kommt ohne Kuppeln aus, in denen die Menschheit jetzt lebt. Ich bin kurz amüsiert. Jedoch: Der Fokus des Romans liegt einzig und allein auf dem Konkurrenzkampf bzw. auf dem von Ruth geführten Abwehrkampf gegen die künftige Chefin, Ania, die Ruth, gemäß dem Wunsch/Befehl des Regierungsgremiums aufbauen und auf die künftige Aufgabe vorbereiten soll. Aber Ruth hat ein Geheimnis. Natürlich. Und Ania kommt ihr auf die Spur. Natürlich. Davon lebt der Roman. So halb, so ganz lebt er nirgendwo.Ich seufze. So lapidar. So vorhersehbar. So öde.
Was gar nicht stimmig ist, ist die Zeitspanne, innerhalb derer eine so gewaltige Umwälzung von Kultur und Gesellschaft stattgefunden haben soll. Im Alter von 30 Jahren ist Ruth noch in der alten Welt beheimatet und mit 70 Jahren, also nur 40 Jahre später soll sie wieder abtreten und innerhalb dieser doch sehr kurzen Zeitspanne soll sich quasi alles verändert haben, wie ging dies vonstatten? Mehr als Andeutungen und Behauptungen werden nicht geliefert. Die Neuordnung, der Kampf darum, das wäre alles so interessant gewesen! Genau so wie der Kampf um das Überleben! Aber nix!
Wie sieht heute die Kultur aus, die Wirtschaft, der Fortschritt, die Kunst, die Wissenschaft? Wie ist das gesamtsoziale Gefüge, wie wurde alles geordnet? Im gesamten Roman gibt es kein Volk, keine Menge, keine Rassen, keine Probleme, keine Politik, nur die Führungsriege tänzelt ein wenig herum, erinnert sich und beharkt sich. Das ist zu wenig. Viel zu wenig.
Dazu kommen Stilfragen. Gefühlt auf jeder Seite wird phrasenhaft tief Luft geholt und geatmet. Klar, es muss geatmet werden. Aber ohne alle die anderen Körperfunktionen gehts auch nicht; von denen aber nicht die Rede ist. Wann streichen die Lektoren diese sinnfreie Phrase des Luftholens aus den Romanen? Abgesehen von den Phrasen ist der Stil leider immer noch flach, hölzern und vor allem vollkommen witzfrei. Bester Satz: „Wir betraten die Wälder nicht mehr“. Aber wie sagt man so schön - ein Satz macht noch keinen Sommer, äh, Schwalbe.
Fazit: So gern ich Dystopien habe, diese hier macht keinen Spaß. Ich bin enttäuscht. Der Ansatz ist ganz ok, aber man hätte den Roman mehr ausformen und ausführen, stilistisch bereinigen und insgesamt hochwertiger schreiben müssen. Vielleicht das nächste Mal.
Kategorie: Dystopie/SF
Verlag: Kremayr & Scheriau, 2024