Der verwunschene Fels

Buchseite und Rezensionen zu 'Der verwunschene Fels' von Agnes Krup
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5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der verwunschene Fels"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:324
EAN:9783847704683

Rezensionen zu "Der verwunschene Fels"

  1. Eine beeindruckende amerikanische Erzählerin

    Willa Cather (1873 – 1947) ist hierzulande nur wenigen ein Begriff. Sie gehört zu den fast vergessenen Autorinnen des 19./20. Jahrhunderts. Zu ihrem 150. Geburtstag wurden erfreulicherweise einige ihrer Werke dem deutschen Publikum neu zugänglich gemacht. Die Andere Bibliothek hat mit diesem Band sogar eine Schmuckausgabe herausgebracht, die acht sehr stimmungsvolle, überwiegend erstmalig übersetzte, Erzählungen Cathers enthält. Agnes Krup hat sie nicht nur wunderbar übersetzt, sondern auch ein umfangreiches Nachwort über Leben und Werk der Autorin hinzugefügt.

    Willa Cather widmet sich mit Vorliebe ihren am Rand der Gesellschaft stehenden Zeitgenossen. Das müssen keine Außenseiter sein. Ihre Protagonisten haben unübliche Interessen, sträuben sich dagegen, den Konventionen zu entsprechen oder vorgezeichnete Wege zu gehen. Sie sind Künstler oder träumen von einem völlig anderen Leben. Dabei zeigt die Autorin ihre Figuren in aller Vielschichtigkeit und Ambivalenz. Sie muss eine hervorragende Beobachterin gewesen sein. Cather verurteilt niemanden, sondern schildert und beschreibt mit Hingabe und Feingefühl, so dass wir jede einzelne Figur sehr gut kennenlernen dürfen. Besonders bewegend in diesem Zusammenhang ist die Erzählung „Ein Wagner-Konzert“, in dem der Erzähler seine alte Tante ins Theater einlädt. Hintergrund: Die Tante war einst Pianistin aus gutem Hause, den schönen Künsten zugeneigt. Aus freien Stücken entschied sie sich jedoch zur Heirat mit einem Farmer, dem sie in ein weit abgelegenes, arbeitsreiches und freudloses Leben folgte. Zunächst scheint die Musik (eines von Cathers wiederkehrenden Themen) die alte Dame nicht zu erreichen, doch im Verlauf des Abends ändert es sich.

    In „Schon bald: Aphrodite“ gerät ein eremitischer, bescheidener Kunstmaler in den Fokus, der seiner neuen Nachbarin nach anfänglicher Abneigung immer stärkeres Interesse entgegenbringt. Diese wiederum fühlt sich eher von der Welt des schönen Scheins angezogen. Es macht Freude, diese beiden grundverschiedenen Menschen eine Weile zu begleiten, ihre Missverständnisse und ihre Annäherung zu beobachten.

    Gern schwelgen Cathers Erzähler auch in Erinnerungen an besondere Ereignisse ihrer Jugend, die überwiegend in der Prärielandschaft Nebraskas angesiedelt sind. Ehemalige Idole verblassen im Licht der Gegenwart, nicht jeder Kamerad mit vermeintlich großen Erwartungen hat sich diese im Verlauf des Lebens auch erfüllen können. Der Zauber der Vergangenheit schwingt stets mit leichter Melancholie mit.
    Die Liebe zur Heimat kann man aus allen Erzählungen herauslesen. Cather beleuchtet alle Schauplätze detailliert, vom ersten Satz an folgt man gefesselt ihren Worten, die das Leben wie die Landschaft anschaulich vorstellen. Die Sprache ist verständlich und klar, sie hält dazu zahlreiche stilistische Schönheiten bereit. Daneben geht es meist um Träume, Sehnsüchte, Liebe und Hoffnungen der Hauptfiguren. Reine Glückseligkeit findet man in Cathers Erzählungen nicht. Sie versteht es aber, scheinbar Alltägliches literarisch versiert und ansprechend zu präsentieren. Sie erzählt bewusst nicht alles aus, sondern lässt dem Leser Leerstellen für eigene Gedanken.

    Wie man dem Nachwort entnehmen kann, war Willa Cather eine freiheitsliebende, emanzipierte und engagierte Frau, die sich nicht in einem gesellschaftlichen Korsett einfangen ließ. Das wird auch in ihrem Schreiben deutlich.

    Große Leseempfehlung für diesen liebevoll gestalteten Erzählband der Anderen Bibliothek! Ich bleibe dieser ausdrucksstarken Autorin definitiv auf den Fersen.

  1. Einblicke in Seelen

    Willa Cather interessiert sich für Menschen und deren Geschichten, in denen sie wiederkehrende Muster erkennt. Diese Muster erzählt sie in ihren Romanen, und man erkennt sie auch in diesen acht Kurzgeschichten wieder, die Agnes Krup teilweise erstmals übersetzt hat.

    Alle Geschichten handeln von Menschen, die sich von ihren umgebenden Mitmenschen unterscheiden, die aus der üblichen Ordnung der Dinge herausfallen, die sich lösen wollen und in Unbekanntes aufbrechen oder, umgekehrt, die in eine bestehende Ordnung hineinkommen und dort für Irritation sorgen.

    Zwei Geschichten haben mir besonders gut gefallen: „Pauls Fall“, die bittere Geschichte eines jugendlichen Außenseiters, und „Ein Wagner-Konzert“, die nicht minder bittere Geschichte einer älteren Frau.

    „Pauls Fall“: Mit diesem doppeldeutigen Titel erzählt Willa Cather das eine dieser Muster. Es ist die Geschichte eines jugendlichen Außenseiters, der nirgendwo verwurzelt ist, sogar nicht in seiner Familie. Er liebt das Theater und kann mit dem eher bäuerlich geprägten Umfeld wenig anfangen, und mit einer roten Nelke im Knopfloch hebt er sich schon äußerlich von seiner Umgebung ab.

    In „Ein Wagner-Konzert“ steht die ältere Tante des namenlosen Ich-Erzählers im Mittelpunkt. Sie ist eine gebildete Frau, aber hat sich mit ihrer Ehe für das entbehrungsreiche, harte Leben einer Pioniersfamilie in der Prärie entschieden. Sie ist verarbeitet und vorzeitig gealtert. Der Ich-Erzähler lädt sie in ein Wagner-Konzert ein. Und bei der Musik – ebenfalls ein Cather-Thema – bricht das große Heimweh der Tante nach Musik und Kultur in ihr auch, sie ist erschüttert bis ins Mark.

    Wie Willa Cather das Innere ihrer Figuren deutlich macht, ist hohe Kunst. Vieles verbleibt im Indirekten und Nicht-Gesagten, Willa Cather beherrscht die Kunst des Auslassens in Perfektion. Und trotzdem erhält der Leser einen Einblick in die Seelen der Figuren. Wie die Autorin beobachtet er sie aus der Distanz, und zugleich rücken sie ihm emotional sehr nahe.

    Immer wieder geht es um die Sehnsucht nach dem Fernen, um Träume des zukünftigen Lebens und um Hoffnungen, aber es geht auch um den Verlust dieser Träume, um Desillusionierung und Bescheidung. Es geht auch konkret um die Liebe zur heimatlichen Prärie Nebraskas, die Willa Cather in wunderschönen knappen Schilderungen feiert. Und über allen Geschichten liegt der Zauber einer versunkenen Zeit.

    Ein außerordentlicher Lese-Genuss!