Südstern: Roman
„Wir packen all das Unausgesprochene und Übergangene ein, nehmen es mit, warten auf eine nächste Gelegenheit, jeder für sich.“ (Zitat Pos. 1639)
Inhalt
Eines Tages hat die Pharmakologin Vanessa Paschke eine Geschäftsidee, die sie auch umsetzt. Denn sie hat beides, das erforderliche Fachwissen und die notwendigen Verbindungen. Als Kurierdienst ist sie mit ihrem mobilen Apothekenwagen unterwegs und liefert an ihre Kunden alles aus, was diese brauchen, um den Anforderungen ihres täglichen Lebens nicht nur standzuhalten, sondern diese auch erfolgreich zu meistern. Der Berliner Streifenpolizist Deniz Aziz fährt Streife in einem turbulenten Berliner Alltag abseits der Touristenströme, bedingt durch den Personalmangel in mehreren Schichten, immer bemüht, Konflikte zu lösen, und kümmert sich gleichzeitig auch um seinen kranken, alten Vater. Als sie einander treffen, prallen zwei gegenteilige Welten aufeinander, was Vanessa erst ahnt, als sie Deniz plötzlich in seiner Polizeiuniform sieht.
Themen und Genre
Dieser Roman spricht alle brisanten Themen unserer Zeit an, von den fehlenden Arbeitskräften in allen wichtigen Bereichen, vom Großstadtleben auf den Straßen und in den Lokalen und Bars, die Außenseitern eine zweite Heimat sind, von den Krankheiten im Alter, bis zu den zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Freundschaft und verständnislosem Schweigen.
Charaktere
„Ich heiße Vanessa und bin ein Engel.“ (Zitat Pos. 48) Mit diesem ersten Satz beginnt der Roman. So sehen sie ihre Kunden, so sieht auch sie selbst ihre Tätigkeit, als Botin, die ihre Kunden mit Substanzen für Glücksgefühle und Leistungssteigerung versorgt. Deniz, sein deutscher Vater Markus, seine Streifenkollegin Jovanna Coric, Vanessas Freund Olli, ein Politiker, ihr Bruder Felix, ihr väterlicher Freund Andreas „Bär“, sie alle stehen für eines der Konfliktthemen dieses Romans und in diesem Kontext kennen wir sie, ihr Alltagsleben, ihre Probleme, ihr Schicksal, ihr Verhalten. Weitere Figuren tauchen auf, sobald ein weiteres Thema angeschnitten wird, verschwinden wieder.
Erzählform und Sprache
Die Geschichte wird abwechselnd von Vanessa und Deniz erzählt, jeweils in der ersten Person, sodass wir in diesen Abschnitten mehr über die beiden Figuren erfahren, was treibt sie an, ihre Wünsche, Gedanken, ihr Verhalten und Handeln. Ihre Beobachtungen schließen die anderen Figuren mit ein, sodass wir auch über diese mehr erfahren. Der Schwerpunkt dieses Autors liegt im Erzählen von Ereignissen, Situationen, und seine Sprache ist ebenso rasant, kurz, präzise. Für Beschreibungen und Schilderungen nimmt er sich keine Zeit. Dafür taucht plötzlich ein surreal-metaphorisches Kapitel auf. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass der Autor zu jenen Schriftstellern gehört, die nicht zuvor die gesamte Handlung und ihre Figuren plotten, sondern dass er seine Figuren einfach losgeschickt hat und dann jeweils neue Ideen hatte, welche brisanten Konflikte unserer Zeit, die ihm ein Anliegen sind, er noch in die Handlung einbauen könnte. Ein Roman aus aneinandergereihten Episoden, welche durch die Hauptfiguren verbunden sind.
Fazit
Eine Sprache, direkt und frontal, ohne Atemholen und Innehalten. Ein Roman wie ein Polizeibericht auf einer der Substanzen, die Vanessa mit ihrem speziellen Kurierdienst ausliefert. Dennoch, oder gerade deshalb, eine sehr interessante Leseerfahrung.
Interessanter Plot
Schauplatz dieses Romans ist Berlin Kreuzberg. Hier verlieben sich Vanessa Paschke und Deniz Aziz, beide Mitte zwanzig, ineinander. Das interessante und spannende daran: Vanessa betreibt einen finanziell lukrativen Kurierdienst für pharmazeutische Drogen aller Art, nicht auf Rezept sondern illegal, die sie u.a. in Clubs, an gestresste Abgeordnete, an Ärzte, und hilfsbedürftige Senioren verkauft.
Diese Dealerin trifft nun auf den Polizisten Deniz, dessen beruflicher Alltag u.a. darin besteht, Drogenkriminalität in seinem Bezirk Kreuzberg zu bekämpfen. Sein Alltag als Polizist auf Streife ist geprägt von Gewalt, der Bekämpfung von Drogenkonsum und Drogenhandel, Hass gegen Ausländer, Verelendung, Kriminalität jeder Art und spielt sich hauptsächlich in prekären sozialen Verhältnissen ab. Der Leser taucht ein in die Welt des finstersten Berliner Kiezes.
Der Roman lässt an Serien wie "4 Blocks" denken. Der Schreibstil, kurze Sätze, nüchterne Sprache, erinnert stellenweise an Polizeiberichte. Durchbrochen wird diese Art des Berichtens durch surrealistisch anmutende Szenen in der Mitte und am Ende des Romans. Dennoch ist es eine Liebesgeschichte, die hier erzählt wird. Diese entwickelt sich rasant und spannend, weil dem Polizisten Deniz lange nicht klar ist, wovon Vanessa eigentlich lebt, nämlich vom Dealen.
Überhaupt spielen Drogen eine Hauptrolle in diesem Roman. Der Leser gewinnt den Eindruck, dass die Welt, in der die Protagonisten des Romans leben, ihr Dasein ohne den Konsum von Drogen aller Art nur schwer ertragen und bewältigen können. Mir hat die Lektüre gefallen. Die Liebesgeschichte zwischen Vanessa und Deniz wird authentisch, unsentimental und trotzdem mitreißend erzählt. Ein die Probleme unserer Gesellschaft reflektierender Roman, der der Trostlosigkeit und Härte des Großstadtlebens menschliche Wärme und damit Hoffnung gegenüberstellt, ohne ins klischeehafte abzudriften. Ich gebe eine Leseempfehlung und 4 Sterne.