Krummes Holz
Mein Lese-Eindruck:
Jirka kehrt heim. Nach 5 Jahren im Internat kehrt Georg, genannt Jirka, in einem drückend heißen Sommer zurück auf das Gut seiner Eltern, um dort zu bleiben. Alles hat sich verändert. Das Gut ist heruntergekommen, die harte und lieblose Großmutter ist dement, der Vater abwesend, die ältere Schwester Malene unfreundlich und wortkarg. Leander, der Sohn des letzten Verwalters, hält zusammen mit Malene den Hof mehr schlecht als recht am Laufen. Die Rückkehr in die Kindheit ist für Jirka also alles andere als die Heimkehr des verlorenen Sohnes, die mit einem Fest gefeiert wurde.
Es ist Jirkas Sicht, die dem Leser die Familiengeschichte näherbringt. Langsam und in vielen Zeitsprüngen entsteht im Leser das Bild von Jirkas Kindheit: vom frühen Tod der psychisch kranken Mutter, vom gewalttätigen Vater, von der harten und lieblosen Großmutter, aber auch vom Miteinander mit der Schwester und der Freundschaft zu Leander, mit dem ihm tröstliche Erlebnisse verbinden. Einige der Zeitebenen gehen nahtlos ineinander über, und einige Rückblenden stellen sich assoziativ bei Jirka ein. Manche Ereignisse werden nur angedeutet wie Schlaglichter, die in der Erinnerung Jirkas aufblitzen. Die Vergangenheiten der Personen, vor allem die des Vaters, vermischen sich mit der Gegenwart, oft gibt es keine festen Grenzen, die Zeiten vermischen sich und verwischen. Die Autorin hätte es ihrem Leser durchaus etwas leichter machen können, ohne in Geschwätzigkeit zu verfallen! Stück für Stück entsteht das Bild einer generationsbedingten traumatischen Kindheit, in der das Kind Jirka nur beim Verwalter und dessen Sohn Leander menschliche Wärme, Schutz und Geborgenheit erfuhr.
Besonders klar sind die Figuren gestaltet. Die Autorin stellt ihrem Roman das bekannte Zitat Immanuel Kants über das krumme Holz des Menschen voran, und genau so sind ihre Personen: krummes Holz. Keine Figur ist eindeutig gut oder böse, keine lässt sich in eine Schablone pressen, alle sind sie lebensechte gemischte Charaktere.
Der Roman ist auf der Gegenwarts-Ebene ausgesprochen handlungsarm, aber trotzdem von großer erzählerischer Dichte. Auf das einem Krimi entlehnte Ende hätte ich allerdings gerne verzichtet. Die Beschreibungen der sommerlichen Hitze sind plastisch, ebenso die ausführlichen Beschreibungen des Hausinneren, wenn der Leser mit Jirka zusammen die altbekannten Räume und die Veränderungen erkundet. Die junge Autorin zeigt ein enormes sprachliches Geschick. Ihr gelingen eindringlich schöne und poetische Sprachbilder, z. B. wenn sie die Depression der Mutter als „schwarzer Strom, der sie ins Tal spülte“ beschreibt. Gelegentlich übertreibt sie allerdings mit der Freude am Bild, wenn sie z. B. Jirka seine Jugend als „das verwachsene Unterholz aus Wut und Einsamkeit, aus dem mein Vater seine arthrosesteifen Finger häkelt“ resümieren lässt.
Insgesamt ein erfreuliches Debut, das neugierig macht auf Kommendes!
Nach fünf Jahren Abwesenheit kommt der 19-jährige Ich-Erzähler Jirka wieder auf dem heimatlichen Hof an, mit dem es offensichtlich abwärts gegangen ist. Dort trifft er Leander, den Sohn des ehemaligen Verwalters, seine unter fortgeschrittener Demenz leidende Großmutter Agnes sowie seine ältere Schwester Malene wieder. Jirka ist zunächst erleichtert, dass sein Vater Georg nicht zu Hause weilt. Seine Mutter starb bereits, als Jirka noch ein Kind war.
Der Sommer ist heiß, die Böden ausgetrocknet. Diese Atmosphäre legt sich über den Hof und seine Bewohner. Auch sie gehen wortkarg und wenig (gast-)freundlich miteinander um. Es grenzt beinahe an eine Abwehrhaltung dieses Schweigen, dieses Dinge-nicht-beim-Namen-Nennen. Man spürt genau, dass etwas Bedrohliches in der Luft liegt, über das niemand spricht. Langsam tastet man sich durch Jirkas Perspektive an die Familie heran. Dabei wechselt sich die Gegenwart permanent mit der Vergangenheit ab. Man muss achtgeben, die Anschlüsse nicht zu verpassen. Doch wird auf diese Weise eine große Unmittelbarkeit erzeugt. Man spürt förmlich, wie plötzlich Jirka durch harmlose gegenwärtige Reize oder Beobachtungen von alten schmerzhaften Erinnerungen heimgesucht wird, die gnadenlos und mit großer Wucht an die Oberfläche drängen. Diese Rückblenden legen eine deprimierende Kindheit unter einem gewalttätigen, unberechenbaren Vater offen, der feste Erwartungen an seine Kinder hatte, denen sie nicht gerecht werden konnten. Malene und Jirka haben sich bis zu einem gewissen Grad gegenseitig gestützt, durch Jirkas Abreise ins Internat vor fünf Jahren ist jedoch ein Bruch entstanden, der sich nicht ohne weiteres überbrücken lässt. Während Jirkas Kindheit war auch der einige Jahre ältere Leander eine schützende, trostspendende Instanz. Heute steht er loyal Malene bei der Bewirtschaftung des Hofes zur Seite. Das Ausmaß und die Intensität dieser Verbindungen offenbaren sich erst nach und nach.
Aus der einst harten unbeugsamen Großmutter ist eine demenzkranke alte Frau geworden, die nur noch wenige lichte Momente erlebt. Es ist faszinierend, wie sensibel Linhof diese Erkrankung in zahlreichen, sehr realistischen Momentaufnahmen einfängt: „Aber im selben Moment sehe ich in ihren Augen, dass der Gedanke sich bereits verflüchtigt hat. Wie sich eine Wand aus Nebel in ihr Gedächtnis schiebt und sie nicht mehr weiß, worüber sie noch vor einer Sekunde nachgedacht hat.“ (S. 42) Es sind immer wieder Sätze wie diese, die den Leser innehalten lassen.
Ich bewundere die atmosphärisch dichte, poetisch-metaphorische Sprachgewandtheit der jungen Autorin. Die erzählte Geschichte geht unter die Haut. Gemeinsam mit Jirka durchlebt man erschütternde Szenen. Man spürt schnell, dass jede Figur auf ihre Weise Verletzungen und Traumata erlitten hat, überraschende Twists treiben die Handlung voran. Es geht darüber hinaus um Jirkas Erwachsenwerden, seine Identitätsfindung und sexuelle Orientierung – wie gesagt, das alles wird mit großer Empathie und Glaubwürdigkeit erzählt. (Der intensive, fesselnde Roman hätte die Ergänzung durch einen weiteren fast kriminalistischen Handlungsstrang meines Erachtens nicht gebraucht.)
Die Geschichte entfaltet sich behutsam in einer betörenden Dichte. Die Autorin begeistert durch ihre bewegenden, gefühlvollen Formulierungen. Schon mit wenigen Worten kann sie auch ambivalente Emotionen ihrer vielschichtigen Figuren beeindruckend auf den Punkt bringen. Mit großer Empathie beschreibt sie Jirkas Konfrontation mit dem Elternhaus. Der junge Mann möchte seine dunklen Geister so gern zum Schweigen bringen, doch so einfach geht das nicht. „Vielleicht ist es immer so, wenn man in die Heimat zurückgeht. Einen Teil bringt man mit, und einen Teil lässt man hinter sich. Einen Teil hat man für immer abgestreift, als man Jahre davor aufgebrochen ist, und einen anderen zieht man bereitwillig über, obwohl er unbequem geworden ist.“ (S. 10)
Große Leseempfehlung für alle Freunde psychologisch komplexer Beziehungsromane und all jene, die Freude an ausdrucksstarker, poetischer Sprache haben. Nach diesem fulminanten Debüt bin ich gespannt, wie sich die Autorin weiter entwickeln wird.
Es ist fünf Jahre her, seit Jirka ins Internat geschickt wurde. Seither war er nicht mehr auf dem elterlichen Hof im Krummen Holz. Obwohl seine Schwester Malene ihn mehrfach gebeten hat zurückzukommen, ist er erst jetzt wieder da. Malene findet, dass er zu spät kommt. Von seinem Vater fehlt jede Spur, die Großmutter ist dement und Malene begrüßt ihn nicht. Niemand redet mit ihm, nur Leander, der Sohn des letzten Verwalters.
Dieser Debütroman von Julja Linhof macht es einem nicht leicht. Die Zeiten verschwimmen in dieser Geschichte und es ist nicht immer einfach, sich zu orientieren. Manches wird nur angedeutet. Das Landleben ist sehr gut und bildhaft beschrieben, aber es herrscht eine düstere und sehr bedrückende Atmosphäre.
Jirka kommt zurück auf den heruntergekommenen Hof, wohin er nie zurückkommen wollte. Er ist wieder bei seiner Familie, in der er nur Kälte und Gewalt erlebt hat. Auch jetzt spricht niemand von der Familie mit ihm. Nur Leander redet mit ihm. Zu Leander hat er sich hingezogen gefühlt und sich geschämt, dass es so war. Die Erinnerungen kommen hoch und werden von Tag zu Tag intensiver. Doch wie verlässlich sind diese Erinnerungen?
Der Vater wollte den Hof verkaufen, doch Malene ist dort tief verwurzelt und kann sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Aber für den Vater gilt sie als Frau nicht viel. Jirka dagegen wäre lieber irgendwo als hier im Krummen Holz. Sie fühlt sich alleine gelassen und ist daher wütend auf ihren Bruder.
Der Vater ist traumatisiert aus dem Krieg zurückgekommen. Das lässt er an seiner Familie aus. Es ist schwer zu ertragen, wenn Jirka sich an die vielen Gewaltausbrüche des Vaters erinnert. Wenn er im Hundezwinger eingesperrt wurde, hat ihn nur Leanders Vater wieder rausgelassen. Die Großmutter, die nach dem Tod von Jirkas Mutter auf den Hof gekommen ist, machte das Leben auch nicht leichter, denn sie war eine harte und gefühlskalte Frau.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive Jirkas. Doch mir hat die Perspektive von den anderen Personen gefehlt. So bleibt es doch eindimensional.
Das Ende hat mich auch nicht ganz überzeugt. Zu viel bleibt offen.
Es ist ein bewegender Roman über eine Familie voller Kälte und die Verletzungen aus der Kindheit, die bis ins Erwachsenenalter wirken.
Nach sechs Jahren im Internat kehrt der 19jährige Jirka auf den heimatlichen Hof zurück. Als Anlass nimmt er seinen Musterungsbescheid, allerdings hatte seine ältere Schwester Malene ihn vor einigen Wochen gebeten, zu kommen. Damals ist er einfach nicht gefahren. Kein Wunder, dass Malene ihm nicht vor Freude um den Hals fällt. Überhaupt hat sich auf dem Hof einiges verändert. Alles wirkt heruntergekommen und renovierungsbedürftig. Großmutter Agnes zeigt Anzeichen einer Demenzerkrankung und sein Vater ist nirgends zu sehen. Nur Leander, der in zufällig auf der Straße aufgabelt, redet mit ihm. Aber auch er erweckt nicht den Eindruck, als würde er sich besonders freuen.
Es ist Sommer, die neue deutsche Welle läuft im Radio und eigentlich könnte es wie Ferien sein, das alte Zimmer ist noch da, die Küche ist noch da, die Oma ist noch da, die Schwester ist noch da. Jedoch fühlt sich nichts richtig und einfach an. Erinnerungen kommen wieder hoch an Ereignisse, die Jirko überwunden glaubte. Und er kann es nicht anders sagen, er fühlt sich fremd. Nur Leander behandelt ihn halbwegs normal, auch wenn er ihm eindeutig klarmacht, dass er sich an den anfallenden Arbeiten beteiligen soll. Dass die einst resolute Großmutter Agnes sich sehr verändert hat, muss Jirka auch noch verdauen.
Schon nach den ersten paar Sätzen packt einen dieser Roman, weil er Erinnerungen weckt. Jirkas Familie ist nach dem Krieg ins Sauerland gekommen. Sie haben eine Fluchtgeschichte wie so viele Menschen nach dem zweiten Weltkrieg. Obwohl Jirko mit dem Krieg zum Glück nichts mehr zu tun hat, so ist seine Kindheit doch von der Geschichte der Eltern geprägt. Es herrscht eine gewisse stumme Härte, die sich auch bei den Kindern fortsetzt. Der sensible Jirko leidet unter der Situation und unter seinem Vater. Malena dagegen wehrt sich und wird selber härter und stummer. Beeindruckend zu lesen, wie sich in diesem heißen Sommer einiges verändert. Und das nicht auf die leichte Tour, eher ist es wie eine Tour de Force. Und doch gibt es für Jirka auch einige schöne dichte Momente. Und so erfühlt man diesen Roman und denkt auch an die eigene Vergangenheit, die vielleicht weniger turbulent war, aber der sich dennoch das Schicksal der Eltern im Leben der Kinder widerspiegelt. Ein sehr lesenswerter Roman, der schon mit seinem Cover einen Hingucker präsentiert.
Sommer 1987, irgendwo im Sauerland: Als der 19-jährige Jirka nach fünfjährigem Aufenthalt in einem Internat erstmals wieder den väterlichen Hof besucht, fühlt er sich nicht gerade willkommen. Sein Vater Georg glänzt durch Abwesenheit, Schwester Malene begrüßt ihn nicht einmal, Großmutter Agnes ist mittlerweile dement und erkennt ihn schwerlich. Und auch Leander, der Sohn des ehemaligen Gutsverwalters, wirkt nicht sonderlich begeistert über Jirkas Rückkehr. Der Hof im Krummen Holz hat seine besten Zeiten hinter sich und steht kurz vor dem Verkauf. Doch je länger sich Jirka dort aufhält, desto intensiver werden die Gedanken an seine Kindheit. Und während alle in der Hitze des Sommers auf den dringend notwendigen Regen warten, brechen sich in Jirka längst verdrängte Gefühle und Ängste Bahn…
"Krummes Holz" ist der Debütroman von Julja Linhof, der jetzt bei Klett-Cotta erschienen ist. Sprachlich zieht Linhof darin alle Register ihres Könnens. Die flirrende Atmosphäre auf dem Gutshof, die Farben, Geräusche und Gerüche des Sommers sind so eindringlich und plastisch beschrieben, dass man fast glaubt, selbst Teil dieser unglücklich wirkenden Familienzusammenführung zu sein. Stets lauert in der Sprache eine Melancholie, der man sich schwer entziehen kann und die hervorragend zum gelungenen Cover der goldgelben Kornfelder passt. Der Titel des Romans ist dabei mehrdeutig. Einerseits heißt so der Ort, in dem der Hof von Jirkas Familie liegt. Auf der anderen Seite beruft sich Linhof auf das wunderbar treffende vorangestellte Motto des Romans von Immanuel Kant: "Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden." "Ganz gerade" ist nämlich keine der Figuren. Zu viel Leid tragen sie mit sich herum, zu viele Verletzungen und Wunden der Kindheit. Sollten Malene und Jirka "gerade" zur Welt gekommen sein, haben spätestens die Gewaltausbrüche von Vater Georg dafür gesorgt, dass sie mittlerweile krumm sind.
Ohnehin müssen sowohl die Figuren als auch die Leser:innen einiges aushalten. Ich-Erzähler Jirka spart nicht an grausamen Details seiner traurigen und trostlosen Kindheit. Seien es die Schläge des Vaters, das Einsperren im Hundezwinger, die Tötung von Hunden und Katzenbabys, die gefühlskalte Großmutter - hier wird nichts ausgelassen, was in seiner Gesamtheit ein wenig klischeehaft und wie des Schlechten zu viel wirkt. Zeitweise fühlte ich mich dabei an die etwas reißerische DVD-Edition "Tales From The Orphanage" erinnert, bei der die Zuseher:innen auf dem Cover stets gefragt wurden: "You think, you had it rough?"
Sehr gut gelingt Linhof hingegen die Vermischung der Zeiten. Hier fordert es höchste Aufmerksamkeit der Lesenden, denn diese verschwimmen teilweise übergangslos und lediglich die kursive Schrift weist darauf hin, dass man sich wieder in einem Rückblick auf die Kindheit befindet. Insbesondere beim emotionalen Höhepunkt des Romans, der den Figuren Jirka und Leander vorbehalten ist, experimentiert die Autorin äußerst erfolgreich mit diesem Zeitenwechsel. Ein Plus ist zudem der Handlungsort. Dieser verlassene Gutshof bildet nämlich einen ganz eigenen Mikrokosmos. Fast fühlt man sich auch als Leser:in in ihm gefangen, wie Jirka, wie Malene. Nicht umsonst sieht Jirkas Schwester in einer Klassenfahrt die "Zuflucht im Außen".
Ein wenig ärgerlich ist hingegen, dass das Schweigen der Figuren, die Sprachlosigkeit untereinander lediglich als Mittel zum Zweck eingesetzt werden, um nichts von dem finalen Twist verraten zu müssen. Dabei kommt dieser Twist gar nicht mehr überraschend, und auch Jirka hätte ihn erahnen können, wenn er denn mehr geredet hätte. Überraschend ist hier eher die Naivität des Protagonisten. Man möchte diese Figuren zeitweise schütteln und zum Dialog auffordern. Glücklicherweise fällt das jedoch nicht nur der Leserschaft auf, auch Jirka kritisiert auf S. 99: "Wir schweigen, bis es unangenehm wird."
Gemeinsam mit Jirka ist Leander die zentrale Figur der Erzählung. Er ist der einzige, der den Gutshof noch nie für längere Zeit verlassen hat. Der Sohn des ehemaligen Verwalters ist auch im komplizierten Beziehungsgeflecht der Geschwister das verbindende - und manchmal auch trennende - Element. Er ist der wohl gelungenste Charakter des Romans in seiner gediegenen Mischung aus Härte und Zerbrechlichkeit, aus Verletzung und Stolz.
Neben der hervorragenden Atmosphäre mit zahlreichen ganz starken Szenen sticht die Vielfalt des Vokabulars hervor. Ob "Roggenmuhme", "Kruppe" oder "Korngeist" - "Krummes Holz" zeigt allein schon anhand der Wortauswahl das außergewöhnliche Talent Julja Linhofs. Ein wenig enttäuschend ist hingegen das recht vorhersehbare Finale, das zudem symbolisch überladen wirkt, ohne näher darauf eingehen zu können. So wie "Krummes Holz" auf der Handlungsebene ohnehin noch Potenzial nach oben gehabt hätte, denn tatsächlich wirken die 270 Seiten trotz der tollen Sprache insgesamt länger als sie sind.
Mit Julja Linhof erhält die deutschsprachige Gegenwartsliteratur eine aufregende neue Stimme, bei der man gespannt sein darf, was da noch folgen wird. "Krummes Holz" ist trotz kleinerer Schwächen jedenfalls ein lesenswertes Debüt, das auch bei Freunden der Coming-of-Age-Literatur hoch im Kurs stehen dürfte.
3,5/5
Jirka ist neunzehn als er in sein Heimatdorf “Krummes Holz” zurückkehrt. Erwartungsgemäß ist niemand glücklich ihn zu sehen. Leander nicht, der ihn auf dem Weg zum väterlichen Hof aufsammelt, Magret, seine Schwester nicht und sein Vater Georg ganz sicher auch nicht, aber den wird er erstmal nicht zu sehen bekommen. Er steigt in den verbeulten Taunus und erinnert sich an Leanders Vater Vilém Dorodzala. Er war der beste einarmige Suffkopp, der jemals gelebt hat, bevor der Tod ihn aus Jirkas Leben gepflückt hat. Vilém war der einzige von den ganzen Wanderarbeitern auf dem Hof, der ihn aus dem Hundezwinger wieder rausließ, in den sein Vater ihn regelmäßig sperrte.
Im Grunde hätte Jirka schon eher kommen müssen, weil seine Schwester ihn darum gebeten hatte, vor einigen Wochen. Doch dann hatte der weltbeste Sozialarbeiter Jochen ihn bekifft erwischt und Hausarrest erteilt. Für Jirka war das kein Problem, für seine Schwester schon.
Im Taunus muss er seine heiße Stirn an die kühle Scheibe der Beifahrertür lehnen. Leanders starker Unterarm, mit dem roten Flaum verwirrt ihn, sein Geruch nach Erde und Zigarettenrauch lässt ihn die Augen schließen. Fünf Jahre haben sie sich nicht gesehen. Eine lange Zeit, die alles verändert, wenn man so jung ist wie Jirka.
Fazit: Zuerst einmal, die vielen Namen und Infos brachten mich zu Anfang ins Stolpern. Die Geschichte ist aber so interessant gemacht, dass ich dran bleiben musste. Mir gefällt die Technik des Rückblicks sehr. Die Autorin packt ganz langsam und bedächtig aus, was Jirka und seiner Schwester passiert ist. Die Charaktere sind sensibel gezeichnet. Leanders erotische Aura, die Jirka die Luft nimmt und zutiefst verunsichert, war spürbar, Jirkas Unsicherheit nachvollziehbar. Jirka begibt sich auf Spurensuche, um sich selbst zu verstehen. Er ist ein sensibler, trotziger, junger Mann. Wie traumatisiert er ist, wird ihm erst durch seinen Besuch auf dem Hof klar, wo sein Vertrauen mehrfach missbraucht wurde. Doch ja, ich mag dieses Debüt sehr und empfehle es ganz klar.
So unvorhersehbar, wie das richtige Leben
"Krummes Holz" von Julia Linhof ist ein Roman über die Geschichte zweier Geschwister.
"Gibt es die alte Welt überhaupt noch, wenn man in der neuen längst ein anderer geworden ist?"
Jirika kehrt nach Jahren der Abwesenheit auf den Gutshof seiner Eltern zurück. Hier trifft er auf seine Schwester, die aber nicht gerade froh darüber scheint, dass er sich erst jetzt hier blicken lässt. Von seinem Vater fehlt jede Spur und seine Großmutter hat sich durch ihre Demenz auch total verändert. Einzig Leander scheint etwas zugänglicher gegenüber Jirika zu sein, doch gerade mit dessen Nähe, kann er nicht umgehen.
Diesen Debütroman habe ich wirklich mit Genuss gelesen, denn er ist sprachlich ein Fest. Der Autorin gelingt es einfach wunderbar, diese aufgeladene Atmosphäre in Worten einzufangen. Ganz zart wird ein Spannungsbogen aufgebaut, der sich in einem wahrhaftigen Gewitter entlädt.
Beim Lesen weiß man nicht, wo einen die Geschichte eigentlich hinführt. Wird es unheimlich, dramatisch oder eine Liebesgeschichte. Genau wie im richtigen Leben.
Bei Jirika brechen beim Heimkommen Erinnerungen auf, wie das krumme Holz unter der sengenden Sonne. Auch die anderen Figuren fand ich sehr interessant.
Ich habe das Buch wirklich sehr gern gelesen und mich in diesen drückenden, schwülen Sommer entführen lassen. Ich empfehle es gerne weiter.