Der Roman „Hana“ der tschechischen Autorin Alena Mornštajnová, der 2017 erstmalig veröffentlicht wurde, gilt in Tschechien als eines der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahre und hat u. a. in 2018 den tschechischen Buchpreis gewonnen. Die Geschichte ist großartig: eine Familiengeschichte aus dem Sudetenland, mit Blick auf drei Frauengenerationen innerhalb dieser Familie. Erzählt wird die Geschichte vor dem Hintergrund des 2. Weltkrieges bis hin zum Beginn des Kommunismus unter sowjetischen Einfluss in den 50er/60er Jahren. Untrennbar von den drei Frauen ist auch die Geschichte der Einwohner der tschechischen Kleinstadt Meziríčí, welche der Heimatort der Familie ist.
Eine Besonderheit ist der Aufbau dieses Romans: Die Geschichte ist in 3 Teile gegliedert, die Handlungsfäden durchlaufen die Zeit zwischen den 30er und 60er Jahren, ohne chronologisch angeordnet zu sein.
Teil 1 wird aus der Sicht der Jüngsten, Mira, erzählt (50er/60er Jahre), die zu Beginn des Romans (1954) 9 Jahre alt ist. Sie ist ein temperamentvolles und glückliches Kind, willensstark, das sich gern über Verbote hinwegsetzt, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter Rosa, die dem Mädchen mit liebevoller Strenge immer wieder Grenzen aufzeigen muss. Leider wird ein schrecklicher Schicksalsschlag die Kindheit von Mira drastisch verändern.
In diesem Abschnitt begegnet dem Leser auch erstmalig Hana, die Tante von Mira und Schwester von Rosa. Der erste Eindruck der Romanfigur Hana ist eigenartig, da sie sich dem Leser als sehr kauzig und menschenscheu präsentiert. Sie scheint mehr Statistin als Akteurin zu sein, was verwundert, zumal der Roman nach ihr benannt ist. Doch dieser Eindruck wird spätestens mit dem folgenden Abschnitt revidiert.
In Teil 2 werden die Erinnerungen von Miras Mutter (Rosa) an ihre eigene Kindheit in den 30er/40er Jahren wiedergegeben. Diese Zeit ist vom 2. Weltkrieg geprägt sowie dem Einfluss der Deutschen Besatzungsmacht auf das Leben und den Alltag von Rosas Familie. Hier lernen wir auch Miras Tante Hana genauer kennen, die in diesem Abschnitt ein junges Mädchen ist, das kurz vor ihrem Schulabschluss steht.
Teil 3 wird schließlich aus der Sicht von Hana erzählt, auch sie berichtet aus ihrer Kindheit und Jugend in den 30ern/40ern, allerdings im Wechsel mit ihren Erinnerungen an die Zeit nach dem Krieg.
Der Leser erfährt in aller Deutlichkeit, dass die jüdische Familie die Rassentheorien der Deutschen am eigenen Leib erfahren musste, denn die Familie wird ins Konzentrationslager deportiert. Nach Jahren im Konzentrationslager kehrt Hana wieder in ihre Heimatstadt zurück, wo sie von vielen Bewohnern, die die Besatzungszeit der Deutschen einigermaßen unbeschadet überstanden haben, kritisch beäugt wird. Viele von ihnen haben damals ihre Augen vor der Not der jüdischen Bevölkerung verschlossen. Andere wiederum konnten sich durch die Not der jüdischen Bevölkerung bereichern. Daher wird Hana von vielen als Sinnbild des menschlichen Versagens der Bewohner von Meziríčí angesehen und statt mit Mitleid, begegnet man ihr mit Ablehnung.
Die Jahre im KZ haben seelische und körperliche Narben bei Hana hinterlassen. Spätestens jetzt wird deutlich, warum Hana zu dem eigenbrötlerischen und scheuen Menschen geworden ist, der nur noch wenig gemein hat, mit dem jungen und lebensfrohen Mädchen, das der Leser im 2. Leseabschnitt kennengelernt hat.
Im dritten Teil „Hana“ laufen die Erzählfäden zusammen, vieles wird ins rechte Licht gerückt, was in den vorherigen Abschnitten nach Erklärungen verlangt hat. Dazu gehören auch vorangegangene Irritationen über Verhaltensweisen einzelner Personen aus dem Umfeld der drei Protagonistinnen, maßgeblich Freunde und Bekannte, die ebenfalls in Meziríčí gelebt haben. Je näher man also zum Ende des Romans kommt, umso mehr erklären sich Sympathien und Antipathien der Protagonistinnen gegenüber einzelnen Figuren.
Alena Mornštajnová lässt den Leser ganz nah dran an ihre Protagonistinnen. Man merkt diesem Roman an, dass er zur Familiengeschichte der Autorin gehört. Die emotionale Wärme, mit der sie die Frauenfiguren gestaltet hat, ist mit jedem Satz zu spüren, ohne ins Kitschige abzudriften.
Die Schicksale der Frauen gehen unter die Haut, zumal Alena die Geschichte ihrer Vorfahren mit einer erzählerischen Wucht erzählt, die einen nicht unberührt lassen kann. Ein starkes Stück Familiengeschichte und eine starke Geschichte über den Holocaust und seinem Danach!
Leseempfehlung!
Eine Familiengeschichte aus dem Sudetenland
Der Roman „Hana“ der tschechischen Autorin Alena Mornštajnová, der 2017 erstmalig veröffentlicht wurde, gilt in Tschechien als eines der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahre und hat u. a. in 2018 den tschechischen Buchpreis gewonnen. Die Geschichte ist großartig: eine Familiengeschichte aus dem Sudetenland, mit Blick auf drei Frauengenerationen innerhalb dieser Familie. Erzählt wird die Geschichte vor dem Hintergrund des 2. Weltkrieges bis hin zum Beginn des Kommunismus unter sowjetischen Einfluss in den 50er/60er Jahren. Untrennbar von den drei Frauen ist auch die Geschichte der Einwohner der tschechischen Kleinstadt Meziríčí, welche der Heimatort der Familie ist.
Eine Besonderheit ist der Aufbau dieses Romans: Die Geschichte ist in 3 Teile gegliedert, die Handlungsfäden durchlaufen die Zeit zwischen den 30er und 60er Jahren, ohne chronologisch angeordnet zu sein.
Teil 1 wird aus der Sicht der Jüngsten, Mira, erzählt (50er/60er Jahre), die zu Beginn des Romans (1954) 9 Jahre alt ist. Sie ist ein temperamentvolles und glückliches Kind, willensstark, das sich gern über Verbote hinwegsetzt, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter Rosa, die dem Mädchen mit liebevoller Strenge immer wieder Grenzen aufzeigen muss. Leider wird ein schrecklicher Schicksalsschlag die Kindheit von Mira drastisch verändern.
In diesem Abschnitt begegnet dem Leser auch erstmalig Hana, die Tante von Mira und Schwester von Rosa. Der erste Eindruck der Romanfigur Hana ist eigenartig, da sie sich dem Leser als sehr kauzig und menschenscheu präsentiert. Sie scheint mehr Statistin als Akteurin zu sein, was verwundert, zumal der Roman nach ihr benannt ist. Doch dieser Eindruck wird spätestens mit dem folgenden Abschnitt revidiert.
In Teil 2 werden die Erinnerungen von Miras Mutter (Rosa) an ihre eigene Kindheit in den 30er/40er Jahren wiedergegeben. Diese Zeit ist vom 2. Weltkrieg geprägt sowie dem Einfluss der Deutschen Besatzungsmacht auf das Leben und den Alltag von Rosas Familie. Hier lernen wir auch Miras Tante Hana genauer kennen, die in diesem Abschnitt ein junges Mädchen ist, das kurz vor ihrem Schulabschluss steht.
Teil 3 wird schließlich aus der Sicht von Hana erzählt, auch sie berichtet aus ihrer Kindheit und Jugend in den 30ern/40ern, allerdings im Wechsel mit ihren Erinnerungen an die Zeit nach dem Krieg.
Der Leser erfährt in aller Deutlichkeit, dass die jüdische Familie die Rassentheorien der Deutschen am eigenen Leib erfahren musste, denn die Familie wird ins Konzentrationslager deportiert. Nach Jahren im Konzentrationslager kehrt Hana wieder in ihre Heimatstadt zurück, wo sie von vielen Bewohnern, die die Besatzungszeit der Deutschen einigermaßen unbeschadet überstanden haben, kritisch beäugt wird. Viele von ihnen haben damals ihre Augen vor der Not der jüdischen Bevölkerung verschlossen. Andere wiederum konnten sich durch die Not der jüdischen Bevölkerung bereichern. Daher wird Hana von vielen als Sinnbild des menschlichen Versagens der Bewohner von Meziríčí angesehen und statt mit Mitleid, begegnet man ihr mit Ablehnung.
Die Jahre im KZ haben seelische und körperliche Narben bei Hana hinterlassen. Spätestens jetzt wird deutlich, warum Hana zu dem eigenbrötlerischen und scheuen Menschen geworden ist, der nur noch wenig gemein hat, mit dem jungen und lebensfrohen Mädchen, das der Leser im 2. Leseabschnitt kennengelernt hat.
Im dritten Teil „Hana“ laufen die Erzählfäden zusammen, vieles wird ins rechte Licht gerückt, was in den vorherigen Abschnitten nach Erklärungen verlangt hat. Dazu gehören auch vorangegangene Irritationen über Verhaltensweisen einzelner Personen aus dem Umfeld der drei Protagonistinnen, maßgeblich Freunde und Bekannte, die ebenfalls in Meziríčí gelebt haben. Je näher man also zum Ende des Romans kommt, umso mehr erklären sich Sympathien und Antipathien der Protagonistinnen gegenüber einzelnen Figuren.
Alena Mornštajnová lässt den Leser ganz nah dran an ihre Protagonistinnen. Man merkt diesem Roman an, dass er zur Familiengeschichte der Autorin gehört. Die emotionale Wärme, mit der sie die Frauenfiguren gestaltet hat, ist mit jedem Satz zu spüren, ohne ins Kitschige abzudriften.
Die Schicksale der Frauen gehen unter die Haut, zumal Alena die Geschichte ihrer Vorfahren mit einer erzählerischen Wucht erzählt, die einen nicht unberührt lassen kann. Ein starkes Stück Familiengeschichte und eine starke Geschichte über den Holocaust und seinem Danach!
Leseempfehlung!
© Renie