Die andere Hälfte der Welt: Roman
![Buchseite und Rezensionen zu 'Die andere Hälfte der Welt: Roman' von Christina Sweeney-Baird](https://m.media-amazon.com/images/I/41hTnwhLA+L._SL500_.jpg)
Kurzmeinung: Ich habe mich durchaus amüsiert, aber das Bedrohliche blieb aus.
Eine Pandemie bricht aus, schlimme Krankheit, die zum Tode führt, die allerdings nur Männer betrifft, wir atmen tief auf, beinahe hätte ich tief Luft geholt, was für ein Glück - die Pandemie greift weltweit um sich.
Der Kommentar:
Pandemiethemen sind momentan natürlich in! Das ist nur allzu verständlich, beschäftigen wir uns doch alle damit und fragen uns, wo wir in der Gesellschaft gerade stehen, mitten drin oder schon danach? Im Roman bricht die Pandemie in Schottland aus, die zuständigen Stellen, an denen hauptsächlich Männer sitzen, verschlampen und verschlafen das Zeitfenster, wo man noch hätte etwas verhindern können. Also sterben Männer massenweise, die Gesellschaft ist in Panik.
Der Roman ist rasant geschrieben, gut sogar oder gut gesprochen, da ich das Hörbuch „las“. Ja, die Sprecherinnen sind hervorragend, besonders gefällt mir Hansi Jochmann mit ihrem prägnanten Timbre.
Zwei Drittel der Zeit verwendet die Autorin auf Befindlichkeiten. Das macht sie schon gut, doch, zum Beispiel verfolgt man, wie eine Wissenschaftlerin den Impfstoff entwickelt, das dauert allerdings Jahre. Es werden andere, zahlreiche Einzelschicksale geschildert, die einem an die Nieren gehen könnten. Seltsamerweise tun sie das nicht. Wahrscheinlich, weil man gespannt darauf lauert, wie, wie, wie sich eine männerlose Gesellschaft darstellt. Darauf muss man lange warten!
Endlich: Statt Tinder Finder. Frau findet Frau. Viele logistische Dinge sind zu bewältigen, angefangen von der Organisation der Müllabfuhr bis zu Klempnerarbeiten und dem Händling technischer Berufe, üblicherweise in Männerhand bis zu der Besetzung hoher Vewaltungsposten. Endlich sind die Entscheidungsträger Frauen!
Und natürlich schaffen die Frauen alles. Die meisten Regierungen sind jetzt weiblich, Männer befinden sich weltweit in der Minderheit und jammern laut über sexuelle Anmache. Trauer muss bewältigt werden, aber ansonsten ist die Welt ein Paradies. Die Kriminalitätsrate sinkt, die Mortalität im Straßenverkehr fällt, etc. etc.
Der Roman ist letztlich vergnüglich. Eine "nette" Idee -
Man muss natürlich die vielen Einzelschicksale zu verfolgen, mögen, sie sind ein wenig zu ausführlich dargestellt für meinen Geschmack, bilden aber natürlich durchaus ab, was geschieht. Der Ausblick auf die männerlose Gesellschaft ist wirklich ein wenig kurz, aber durchaus vorhanden. Auch die Anbindung an die Weltpolitik, was ich besonders honoriere.
Ich rätsele, warum ich den Roman kaum ernst nehmen kann. Warum hat mir „Die Markierung“ von Frida Isberg einen kalten Schauer über den Rücken gejagt, obwohl jener Roman ungenügend auserzählt gewesen ist. Ha, deshalb! Auserzählt. Der Roman „Die andere Hälfte der Welt“ ist zu auserzählt. Fridas Roman ist mir zu wenig auserzählt, er hat große Lücken, aber "Die andere Hälfte der Welt" übertreibt es damit wiederum. Es fehlt der Raum, wo meine eigene, das heißt, des Lesers Phantasie Wurzeln schlagen könnte. Und deshalb greift mich der Roman nicht an. Ein letzter Kniff, um mich doch noch zu kriegen, wäre gewesen, wenn es zu guter Letzt eine Pandemie gegeben hätte, die nur Frauen vom Planeten fegt. Aber nix. Sweeney-Baird hat zuletzt der Biss gefehlt oder der Mut verlassen und so bleibt das Büchlein eben das, nett.
Fazit: Der Roman ist unterhaltsam, ich mochte ihn. Aber es gehen weder Bedrohung von ihm aus noch Denkanstöße. Er bleibt ohne Nachwirkungen.
Kategorie: Dystopie. Gute Unterhaltung.
Als Hörbuch: Hörbuchverlag, 2022
Diana Verlag, 2022/ Penguin Random House Verlagsgruppe.
Fünf Sterne für eine Welt ohne Männer
Für Eilige:
Die Leseprobe hatte mich neugierig gemacht: Eine Welt ohne Männer! Geht es Christina Sweeny-Baird um die Überbevölkerung, das Problem, das Dan Brown in Inferno angeprangert hat? Beugt sie sich am Ende wie er dem Mainstream? Nein, das hat sie nur einmal angerissen: Der Klimawandel bildet sich zurück, da die Weltbevölkerung im Jahr 2025 auf 55% des bis dahin aktuellen Umfangs zurückgeht. Doch diese Betrachtung ist nicht Gegenstand des Romans. Das Werk lebt von den Gefühlen der Betroffenen, von den Gefühlen der Frauen und von ihren Schicksalen. Wie aber passt das mit dem lockeren, selbstironischen Schreibstil zusammen? Ist die 'andere Hälfte' eine Anspielung auf die 'bessere Hälfte'? Die Ernsthaftigkeit greift ebenso schnell Raum, wie der Leser begreift, dass sich die Welt im Krieg befindet: im Krieg gegen ein tödliches Virus.
Inhalt:
Im Einzelnen eine Handlung wiederzugeben, fällt mir bei diesem Buch schwer. Sweeny-Baird verfolgt das Schicksal eines halben Dutzends Frauen, die ihre Ehemänner, ihre Söhne und Väter verlieren. Wie gehen sie damit um - versinken sie in Verzweiflung oder in blindem Aktivismus? Oder stellen sie sich der Situation und arbeiten an einer neuen Weltordnung? Die Welt wird anders mit nur einem Zehntel der Männer. Politik, Wirtschaft, Bildung - alles ändert sich für die Gesellschaften. Evakuierungsprogramme, Arbeitszwang, Rationalisierung - alles ändert sich für die Frauen und die wenigen verbliebenen Männer. Manche Schicksale werden erst am Ende des Romans zusammengeführt: im Licht einer neuen Weiblichkeit mit gestiegenem Selbstbewusstsein, mit Erfahrung in neuen Berufen und mit dem eisernen Willen, die Rasse Mensch nicht aussterben zu lassen.
Schreibstil:
Ein Buch aufgeteilt in gefühlte 100 Kapitel, alle erzählt aus der Ich-Perspektive. Das machte es mir anfangs schwierig zu erkennen, wer die Erzählerinnen dieser Kapitel waren und welche Rolle sie spielten. Raffiniert führt die Autorin im Verlauf des Protokolls die Schicksale, Aufgaben und Gefühle der Frauen zusammen, denn nur wenige Männer schildern ihre Situation. Mit dem Verlauf der Pandemie ändert Sweeny-Baird den Schreibstil. Von der anfänglichen Leichtfüßigkeit und Selbstironie bleibt Schritt für Schritt immer weniger übrig. Die Sprache kennzeichnet paassend die jeweiligen Charaktere, indem sie die Gefühle und Stimmungen treffend formuliert: Verzweiflung klingt anders als Zuversicht und Durchhaltewillen, Resignation anders als Hilfrsbereitschaft, Aggression anders als Verständnis und Aufopferung. Das nimmt dem in Protokollform (Person, Tag der Pandemie seit dem Ausbruch, Ort der jeweiligen Protagonistin) strukturierten Buch jeglichen Anschein nüchterner Berichterstattung, man will, man muss weiterlesen! Die Maschen, in denen die Schicksale miteinander verwoben sind, werden immer enger. Die Gefühle wirken stets authentisch, wodurch die Dramatik betont wird, ohne reißerisch zu wirken. Bilder aus der Kriegs- und Nachkriegszeit machen Die andere Hälfte der Welt sowohl nachvollziehbar als auch dringlich mahnend.
Fazit:
Nachdem man sich etwa ab Kapitel drei über die Struktur des Buches klargeworden ist, will man es nicht mehr aus der Hand legen. Packend geschrieben bietet es eine Perspektive fernab von heutiger Umweltzerstörung und Überbevölkerung. Einfach eine neue Weltordnung des Matriarchats. Für mich als Leser haben die geschilderten Konsquenzen einer männermordenden Pandemie Hand und Fuß. Trotz aller Dramatik und trotz des sich ändernden Rollenverständnisses hin zur weiblichen Vorherrschaft ist das Buch keine verbittert klingende Abrechnung mit der Dominanz der Männer in Beruf, Wirtschaft und Politik. Es ist eine Alternative, die es gilt ernsthaft und geschlechterneutral zu betrachten. Dadurch, dass die Autorin die ganze Welt in den Fokuss rückt, wird das Buch neben einem Roman zu einer Kritik an unserer heutigen Gewohnheit, nichts als System zu betrachten, sondern alles in manchmal widerstreitenden Subsystemen optimieren zu wollen: Das System als ganzes, die Welt an sich bleibt ohne diese Sicht auf der Strecke. Aber egal, welchen Aspekt der Leser in den Vordergrund stellt: Sweeny-Bairds Die andere Hälfte der Welt ist eine packende und lesenswerte Lektüre.