Creep: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Creep: Roman' von Philipp Winkler
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3 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Creep: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:342
Verlag: Aufbau
EAN:9783351037253

Rezensionen zu "Creep: Roman"

  1. 3
    02. Jan 2024 

    Echt Creepy

    Fanni lebt in Deutschland. Minimalistisch ist ihre Wohnung eingerichtet, die ihr der Vater zur Verfügung gestellt hat. Sie betreut Kundenkonten von Menschen, die ihr Haus mit Sicherheitskameras ausgestattet haben. Eigentlich soll sie nur Fehlfunktionen beheben, doch irgendwann hat sie angefangen, eine Kundenfamilie zu stalken. An ihrem Leben teilnehmen, so umschreibt sie es. Junya in Japan kommt kaum aus seinem Zimmer heraus. Seine Mutter behandelt er wie eine Dienstmagd. Er bemerkt nicht einmal, dass sie krank ist. Nur manchmal schleicht er sich nachts hinaus, um bei anderen Leuten einzubrechen. Was haben die beiden miteinander zu tun?

    Zwei Menschen, die Kontakt eigentlich nur durch Medien haben. Dabei hat Fanni noch eine Art geregelten Alltag, allerdings weiß sie mit ihrem Wochenende nichts wirklich anzufangen. Man könnte beinahe meinen, sie fühlte sich ihrer gestalkten Familie eher zugehörig als ihrer biologischen. Zugegeben, mit ihren biologischen Eltern möchte man auch nicht verwandt sein. Junya hat sich in seinem Zimmer vergraben, treibt sich auf web-Seiten im Internet herum und sammelt Ablehnungsschreiben der Kunsthochschule. Erst als seine Mutter erkrankt ist er gezwungen, sein Leben zu ändern. Ob zum Besseren muss dahingestellt bleiben.

    Als mittelalte oldschool Leserin fragt man sich, ob man irgendwie den Absprung verpasst hat. Mochte man das erste Buch des Autors so gerne, dass man den Folgeroman mit Spannung erwartet und sofort erworben hat, so musste man mit Erstaunen feststellen, dass man es nach wenigen Kapiteln erstmal geraume Zeit liegen lassen musste. Nun während des Urlaubs ist die Zeit gekommen, es erneut aufzuschlagen. Doch immer noch bleibt die Feststellung, zu diesen Figuren findet man keinen Zugang. Wobei Fanni noch halbwegs lebenstüchtig wirkt, wenigstens zu Beginn. Doch bei ihr gewinnt man den Eindruck, dass sie sich immer mehr im Internet verfängt. Und Junya ist eine so eigenartige Persönlichkeit. Allem Anschein nach hat er sich völlig von der Realität abgekoppelt. Nicht mal die Erkrankung seiner Mutter rüttelt ihn wach. Man sieht durchaus Parallelen zur heutigen Welt, wünscht sich allerdings, dass diese deprimierende Entwicklung noch aufgehalten werden kann. Der Inhalt des Romans ist irgendwie genauso düster und creepy wie das Cover. Für die Leserin war es leider nicht die passende Lektüre. Wie es von anderen gesehen wird, muss jeder oder jede für sich entscheiden.

  1. Erschreckendes Szenario-harter Tobak, faszinierend, aber unrund

    IT-Nerds kennt wohl jeder, aber die ganz hartgesottenen unter ihnen, wie sie Winkler in seinem Roman "Creep" beschreibt, sind hoffentlich noch nicht so weit verbreitet. Oder doch?

    Fanni aus Deutschland lebt im wahrsten Sinne des Wortes mitten unter uns. Sie arbeitet für eine Firma, die Kameras zum Schutz vor Einbrechern entwickelt, installiert und überwacht. Fanni nutzt es für sich aus und lebt in der Welt der Familien, die sie heimlich über diese Kameras beobachtet. Nicht zu vergessen, dass sie sich ein bisschen dazuverdient, indem sie Daten im Darknet verscherbelt.

    Junya aus Japan ist ein sogenannter Hikikomori. Verbringt bereits Jahre seines Lebens in seinem Zimmer am PC, traut sich nicht unter Menschen. Nur des Nachts wagt er sich vor die Tür um extreme Dinge zu erledigen, sie im (Dark-) Net zu teilen und auf diese Weise Bewunderung zu erfahren.

    Die Verbindung zwischen diesen beiden Hauptpersonen bleibt wage, und dennoch ist sie da. Werden sich die Wege am Ende sogar kreuzen, und wo führt alles hin?

    Dieser Frage hängt man von Anfang an nach, es macht das Geschehen im Roman spannend und fesselnd. Doch insbesondere der Anfang macht es mir als Leserin nicht leicht. Allein das Gendern in Fannis Kapiteln lässt mich beim Lesen stolpern, weil so ungewohnt. Hier kommt mit der Zeit aber die Gewöhnung. Noch anstrengender empfinde ich die zahlreichen Fachbegriffe aus dem IT-Jargon und das viele japanische Vokabular. Dass Winkler hier keinerlei Erläuterungen oder ein Glossar angefügt hat, nehme ich ihm übel. Es macht das Lesen zu einem permanenten "googeln", sofern man alles verstehen will. Ich habe schließlich drüber weg gelesen, für das Verständnis der Story hat es trotzdem funktioniert.

    Winkler erzählt die Geschichte abwechselnd aus Fannis und aus Junyas Perspektive. Mehr und mehr findet man Parallelen und verbindende Elemente, ich erfahre einiges über die japanische Kultur und ganz besonders gefällt mir der tiefergehende Blick in die Psychen der beiden. Hier erweckt Winkler zwei sehr spezielle Persönlichkeiten zum Leben, zeigt ihre Vergangenheit auf und lässt sie im Jetzt agieren. Leider ist es ihm bei Junya meiner Meinung nach nicht so gut gelungen, denn dieser agiert teilweise völlig entgegengesetzt zur eigentlichen (psychisch versehrten) Charakterzeichnung - da ist so einiges für mich nicht nachvollziehbar.

    Immer präsent - und da warne ich ausdrücklich, falls nicht jeder so etwas lesen kann - pure Gewalt. Es gibt exzessive Gewaltszenen, teilweise auch nur angedeutet, aber trotzdem schlimm genug allein die Vorstellung. Passt zur Story, wirkt authentisch (leider), haut einen aber ganz schön um.

    Das Ende ist für mich persönlich sehr gut gelungen und macht die Geschichte rund. Hier allerdings gibt es eine ganze Palette an Interpretationsmöglichkeiten, was ich dem Autor sehr anrechne. Er lässt viel Raum zum Nachdenken, zum Rekapitulieren, zum Weiterspinnen. So etwas mag ich besonders.

    Fazit: Sehr faszinierende und gut erzählte Story mit einigen Abstrichen für sprachliche Umsetzung und teils lückenhaft-stringente Charakterführung.