Welt in Aufruhr
Das Cover ist ansprechend für ein Sachbuch. Der Titel hat mich erst einmal verwirrt, hiess doch eine kürzliche Ausstellung über Chagall genau so. Da ging es auch um Vertreibung und Verfolgung und eine andere Weltordnung. Nur in Bildsprache. Das hätte ich vermutlich einfacher verstanden als das Buch von Herfried Münkler. Ich kann nur einen Eindruck von dem Buch wiedergeben, gelesen wie ein Sachbuch, das ich sonst zu einem Thema anschaue, habe ich es nicht. Dazu ist es zu umfangreich und zu speziell.
In den ersten Kapiteln hatte ich manchmal den Eindruck etwas zu verstehen, einen Gedankengang oder historischen Umstand den ich selbst als Bürger miterlebte. Meist jedoch ist es beschwerlich einen Satz zu verstehen in dem viele Fremdworte vorkommen, die man schon mal gehört hat und auch einzeln aus dem Zusammenhang problemlos einfügen kann ohne nachzuschlagen. Tauchen aber bis zu zehn solcher Begriffe in einem Satz auf, dann bin ich echt überfordert. Trotz guter Schulbildung ist das Buch zu hoch für mich. Als Überblick und zum Sortieren der aktuellen Lage für ein entsprechendes Publikum sicher ein Meilenstein.
Grundlagen der Geopolitik
Kurzmeinung: Interessante Schnupperstunde in die Geopolitik
Herfried Münklers „Die Welt in Aufruhr“ ist eigentlich ein Buch über Grundlagen der Politikwissenschaft, bezogen auf die allgemeine Weltlage ever.
Wir Leser betrachten mit Herfried Münkler die Überlegungen und Reflexionen Thukydides, einem griechischen Historiker, geschätzte Lebensdaten 454 v. Chr. bis 396 v. Chr., über den Pelopennesischen Krieg. In diesem grundlegenden Werk stellt Thukydides u.a. die Unterscheidung zwischen Anlass und (wirklichem) Grund eines Krieges anhand der damaligen Großmächte Sparta und Athen dar.
Welches sind heute die Großmächte und sind sie zwingend die alles beherrschenden Mächte oder gäbe es theoretisch denkbar andere Konstellationen, rechnet Münkler das Gesagte in die Gegenwart. Welche thukydischen Grundwahrheiten gelten heute noch? Was ist die thukydische Falle?
Wir betrachten auf ähnliche Weise Niccolò Machiavelli (1449- 1516) und sein Hauptwerk „Il Principe“. Bei Machiavelli geht es um Florenz als eine politisch modern geordnete Republik und um Italien, das droht, ein Spielball europäischer Mächte zu werden (Spanien und Frankreich) und seine Eigenständigkeit zu verlieren. Machiavelli zieht Parallelen zum Römischen Reich, seiner Blüte und seinem Untergang und plädiert zugunsten der Einheit und Souveränität Italiens für einen starken Mann an der Spitze. Absolutistisches Durchregieren, meint er, ist im Kampf um das Gesamte der einzige Weg.
Diesem Weg folgen heute viele Staaten; je unruhiger die Zeiten sind, um so mehr Bürger sind bereit, ihre unveräußerlichen Menschenrechte einer Autokratie unterzuordnen.
Schließlich beschäftigt sich Münkler noch mit Claus von Clausewitz (1780-1831), der sich in seinem Hauptwerk „Vom Kriege“ mit den Mechanismen desselben beschäftigt und sich mit den Napoleonischen Kriegen auseinandersetzt, die Europa überzogen. Clausewitz unterscheidet z.B. zwischen wirklichem und absolutem Krieg, was nichts anderes heißt, als dass es Kriege gibt, die von den Staatsoberhäuptern bzw. seinen Repräsentanten sowohl beschlossen wie auch ausgeführt werden (Staatsheer) und einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit einem anderen Staat/Staaten, in der das gesamte Volk mobil ist.
Auch Carl Schmitt (1888 – 1985), Jurist und Philosoph, aber auch NSDAP-Mitglied, wird meines Erachtens weitgehend unkritisch und unkommentiert, ein weiter Raum zugestanden. Befremdlich. Hier wären klärende Worte von Nöten gewesen!
All diese theoretischen Reflexionen oller Denker oller Zeiten münden in die Überlegungen ein, wie die Welt heute beschaffen ist, wer das Sagen hat und wie die Ordnung dieser Mächte sei; momentan beobachten wir eine Fünferkonstellation: USA; Europa, Russland, China, Indien. Ist Konkurrenzdenken und Machtbestreben einhegbar und wie macht man das, wer oder was bleibt dabei auf der Strecke? (Der Mensch, wer sonst und die Natur).
Wie diese Fünfe zusammenspielen und ob eine Welt ohne gegenseitige kriegerische Bedrohung überhaupt möglich sei, eher nein, sagen die Geopolitiker, damit beschäftigt sich das Buch im Grunde. Seine Tendenz fällt überaus negativ aus. Liest man dieses Buch beziehungsweise beschäftigt man sich intensiver mit Geopolitik muss man die Hoffnung auf einen dauerhaften Weltfrieden dahingeben, ja sogar auf einen zeitweisen. Das einzig denkbare, ist ein partieller Frieden.
In seiner äußerst kurzen Zukunftsperspektive geht der Autor davon aus, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine verlieren wird und zieht einige Schlussfolgerungen. Leider zieht er das Gegenteil gar nicht erst in Betracht.
Fazit: „Welt in Aufruht“ gibt hauptsächlich eine Einführung in die Geopolitik unter bestimmten Gesichtspunkten. Freilich verweilen wir drei Viertel des Buches in lange vergangenen Zeiten, bevor wir zu der aktuellen Lage kommen. Die ausufernde Beschäftigung mit Sparta-Athen, Rom-Florenz, etc. hätte durchaus kürzer ausfallen dürfen! Zu bemängeln wäre zudem das Fehlen eines Namensregisters mit Seitenangaben und eine Zeitleiste der wichtigsten genannten historischen Kriege. Der Stil ist dem Sujet angemessen.
Kategorie: Sachbuch: Geopolitik.
Rowohlt, 2023