Jenny

Buchseite und Rezensionen zu 'Jenny' von Fanny Lewald
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Jenny"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
EAN:9783150114551

Rezensionen zu "Jenny"

  1. 5
    05. Okt 2023 

    Ein Emanzipationsroman im doppelten Sinne

    Während englischsprachige Autorinnen des 19. Jahrhunderts weltweit bekannt sind und immer noch gerne gelesen werden ( man denke nur an „ Sturmhöhe“ oder „ Middlemarch“ ), ist Fanny Lewald heute sogar in Deutschland nur wenigen ein Begriff. Dabei war sie eine der erfolgreichsten und bedeutsamsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Sie gehört zu den ersten Berufsschriftstellerinnen in Deutschland; ihre Bücher waren Bestseller. 27 Romane, dazu Erzählungen, Essays und politische Schriften umfasst ihr Werk. Ihre ersten beiden Romane, darunter „ Jenny“ , veröffentlichte sie, aus Rücksicht auf ihre Familie, aber noch unter Pseudonym.
    Geboren wurde Fanny Lewald 1811 in Königsberg als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Schon früh konvertierte sie zum Protestantismus, um der ständigen Diskriminierung zu entgehen, bereute aber schon bald diesen Schritt.
    Fanny Lewald gilt als eine der ersten Feministinnen und führte mehr als 30 Jahre lang einen literarischen Salon, in dem nicht nur literarische Themen zur Debatte standen, sondern darüber hinausgehend auch politische und wissenschaftliche Fragen erörtert wurden.
    Es ist an der Zeit, dieser bedeutenden Frau den Platz im Kanon einzuräumen, der ihr zusteht. Dazu dürfte der äußerst lesenswerte Roman „ Jenny“ beitragen, den der Reclam- Verlag in einer wunderschönen Ausgabe in seiner Reihe „ Reclams Klassikerinnen“ herausgebracht hat.

    Wir sind im Jahr 1832 in einer großen deutschen Handelsstadt. Im Zentrum des Romans steht Jenny, Tochter der wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie Meier. Sie hat noch einen älteren Bruder Eduard, er ist Arzt. Die Meiers führen ein offenes Haus, sind aufgeklärte assimilierte Juden. Doch der Makel des Judentums haftet trotzdem an ihnen. In der preußischen Gesellschaft sind sie Bürger zweiter Klasse.
    Im Haus lebt noch Joseph, ein Neffe, der als Nachfolger im elterlichen Geschäft vorgesehen ist und der sehr gerne Jenny heiraten würde. Doch die junge Frau hat sich längst in einen anderen Mann verliebt, Reinhard, Studienfreund des Bruders, Sohn einer armen Pfarrerswitwe und selbst angehender Pfarrer. Er liebt sie ebenfalls, „ Aber alles lag trennend zwischen ihm und ihr: Religion und Verhältnisse…“ Doch Jenny ist bereit alles aufzugeben, die Annehmlichkeiten ihres reichen Elternhauses und vor allem ihren Glauben. Aus Liebe zu dem jungen Mann konvertiert sie, aber bald kommen ihr Glaubenszweifel, was Reinhard nicht verzeihen kann. Er löst die Verbindung. Zum Glück, möchte man sagen. Denn unabhängig vom Glauben trennt die Beiden noch viel mehr. Jenny ist eine rebellische und aufgeschlossene Frau, die selbstbewusst ihren eigenen Weg gehen will. Während Reinhard strenge Prinzipien hat und sich eine brave Pfarrersfrau an seiner Seite wünscht. Trotz aller Verliebtheit erkennt Jenny, dass sie diese Rolle nicht einnehmen will und kann.
    Es ist ein sehr unkonventionelles, fortschrittliches Frauenbild, für das die Autorin hier plädiert. Eine andere Frauenfigur wird als Gegenbild zu Jenny entwickelt. Diese geht völlig auf in ihrer Rolle als treu sorgende Ehefrau und Mutter. Doch die Sympathie von Autorin und Leserin gilt eindeutig Jenny.
    Reinhard und Jenny sind aber nicht das einzige Liebespaar im Roman, das mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Auch Eduards Liebe gilt einer Christin, doch anders als Jenny ist er nicht bereit, sich taufen zu lassen. Er hat das schon aus Karrieregründen abgelehnt, obwohl ihm als Jude viele berufliche Türen verschlossen blieben. Eduard ist zwar nicht gläubig, fühlt sich aber seinem Volk verbunden und will nicht zum Verräter an ihm werden. Ihm geht es um die Gleichstellung der Juden. Eduard versucht nun an höchster Stelle zu intervenieren, um eine Erlaubnis für eine Heirat mit Clara zu bekommen, doch vergeblich. In Preußen ist eine Ehe zwischen Juden und Christen gesetzlich untersagt.
    Ständig stoßen die Meiers und ihre Glaubensbrüder an gesellschaftliche Schranken. Überall schlägt ihnen der allgegenwärtige Antisemitismus entgegen, mal in diffamierenden Bemerkungen, dann in konkreten Auswirkungen. Das demonstriert die Autorin an vielen Beispielen.
    Mit „ Jenny“ hat Fanny Lewald einen Emanzipationsroman im doppelten Sinne vorgelegt. Ihr Anliegen war die Gleichberechtigung von Juden und Frauen. Ihre Hoffnung und Zuversicht formuliert Eduard am Ende des Romans. „ Wir wollen leben, um eine freie Zukunft, um die Emanzipation unseres Volkes zu sehen!“ Wir lesen diesen Roman heute mit dem Wissen um die Shoa, dadurch bekommt das Buch eine zusätzliche Dimension.
    Mir hat der Roman ausgesprochen gut gefallen. Die „ altertümliche“ Sprache habe ich sehr genossen und ich bin eingetaucht in eine vergangene Welt voller Konventionen und Einschränkungen. Dabei durfte ich eine mir bisher unbekannte Schriftstellerin kennenlernen. Es ist zu hoffen, dass weitere Romane von ihr wieder publiziert werden.

  1. 5
    28. Sep 2023 

    großartige Wiederentdeckung eines Klassikers

    Der Roman "Jenny" von Fanny Lewald wurde 2023 neu vom Reclam Verlag in einer ansprechenden Hardcover Version herausgegeben. Der Erstdruck erfolgte1843 anonym bei Brockhaus in Leipzig. Fanny Lewald war eine deutsche Schriftstellerin, als Jüdin in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, die später zum Christentum konvertierte.

    Mit ihrem Roman "Jenny" zeichnet Lewald das Porträt einer jungen Frau im Jahr 1832, die als Tochter einer reichen jüdischen Familie in wohlgeordneten, behaglichen Verhältnissen aufwächst. Jenny verliebt sich als sehr junges Mädchen in ihren Hauslehrer, einen jungen Christen und späteren Pfarrer und ist bereit, für diese Liebe zum Christentum zu konvertieren.

    Jenny ist gebildet, intelligent, selbstbewußt und von ungestümem Wesen, mit rebellischen Zügen, wenn es darum geht, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und schlicht auch Dummheit zu erkennen und hinzunehmen. Frauen standen solche Charakterzüge in dieser Zeit eher nicht zu, wurden als männlich oder sogar, wenn Frauen jüdischen Glaubens waren, als typisch jüdisch verurteilt. All diese sich hieraus ergebenden Widerstände muß Jenny erfahren, als sie sich leidenschaftlich in den Theologen Reinhold verliebt. Sie versucht, sich durch ihren Übertritt zum Christentum anzupassen. Der Leser erfährt insofern die tiefen Gewissenskonflikte, die hierdurch bei ihr ausgelöst werden und bei Reinhold auf Unverständnis stoßen.

    Auf der anderen Seite wird mit Jennys älterem Bruder Eduard ein Charakter geschildert, der sich zwar auch in eine Christin verliebt, aber zur Aufgabe seines Glaubens niemals bereit ist. Mit Clara, in die sich Eduard verliebt, wird das Gegenmodell zu Jenny entworfen. Beide Frauen sind aus reichem Haus, zwar verschiedenen Glaubens, aber innig befreundet. Clara ist sanftmütig und ausgleichend und fügt sich in die ihr von der Gesellschaft zugestandene Rolle als Hausfrau und Mutter, ein engelsgleiches Wesen. Doch auch sie wird, wie die übrigen Protagonisten, geradezu zerissen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe und den gesellschaftlichen Zwängen, denen alle ausgesetzt sind. So waren Mischehen zwischen Juden und Christen nach staatlicher Erlaubnis zwar möglich, aber gesellschaftlich verpönt.

    All das wird trotz oder gerade wegen der altertümlichen Sprache des Romans sehr nachvollziehbar deutlich. Ich habe diese Sprache sehr genossen, gerade weil hierdurch die tiefen Emotionen der Beteiligten so treffend gespiegelt wurden. Gut gefallen haben mir auch die zauberhaften Schilderungen von Natur und Landschaften. Wer hätte gedacht, dass man damals in Baden Baden Nordlichter betrachten konnte ?

    Gespannt verfolgt der Leser Jennys Lebensweg und wünscht ihr ein selbstbestimmtes, glückliches Leben, in dem sich ihr selbstbewußter, wacher Charakter entfalten kann. Das Fatale für Jenny und ihren Bruder ist, dass weder Frauen noch Juden, selbst wenn sie so wie Jennys Familie reich waren, ein freies und selbstbestimmtes Leben führen konnten, weder in der Wahl ihrer Lebenspartner und ihres Berufes noch in der Ausübung ihrer religiösen Freiheit.

    Ein großartiger Roman, in dem es sowohl um die Emanzipation von Frauen als auch um die Emanzipation des jüdischens Volkes von Vorurteilen und daraus resultierender Diskriminierung geht. Wer ein Faible für Klassiker hat, sollte diesen Roman lesen !

    Ich vergebe 5 Sterne.