Zwischen den Palästen

Buchseite und Rezensionen zu 'Zwischen den Palästen' von Nagib Machfus
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Zwischen den Palästen"

Format:Taschenbuch
Seiten:704
Verlag: Unionsverlag
EAN:9783293208469

Rezensionen zu "Zwischen den Palästen"

  1. Doppelmoral und Tyrannei in einer ägyptischen Familie

    Opulente Familiengeschichte, Gesellschaftsporträt mit tiefen Einblicken in Frauenfeindlichkeit, Heuchelei, Verlogenheit und Doppelmoral

    Ich habe es mit Faszination gelesen, aber auch mit Abscheu und Unverständnis für die Handlungsweise einiger Personen.

    Der Roman spielt in Ägypten zur Zeit des britischen Protektorats und der langsam aufkommenden Unabhängigkeitsbestrebungen, die zunehmend Unruhen verursachen.

    Wir tauchen tief in das Leben einer Familie ein, deren Oberhaupt, der Kaufmann Herr Abd al-Gawwad ein tyrannisches Regiment führt. Er unterdrückt seine Ehefrau Amina, behandelt sie wie eine Dienerin, herrscht als Despot über seine Kinder, die vor ihm zittern, obwohl Jasin und Fahmi schon erwachsen sind, lässt kein gutes Haar am kleinen Kamal und schreibt seinen beiden Töchtern vor, wie sie zu denken und zu handeln haben. Alle haben Angst vor ihm, aber – mir unverständlicherweise – lieben und respektieren ihren Vater auch.

    Er geht aus dem Haus in sein Geschäft, doch wen sehen wir da? Ist das noch Herr Abd al-Gawwad, dieser liebenswürdige, fröhliche Mensch, der immer einen Scherz auf den Lippen hat und beliebt bei Kunden und Freunden ist? Mehr noch: er geht jeden Abend aus, trinkt oft bis zum Vollrausch und legt das Verbot des Korans nach seinem Gutdünken aus. Als ob das nicht schlimm genug wäre, hat er auch ständig eine Geliebte und giert danach, beliebt und anerkannt zu sein.

    Da fragt sich der Leser, ob es sich bei ihm um eine gespaltene Persönlichkeit handelt oder ob der Autor Machfus vielleicht gerade durch Übertreibung etwas kritisieren will, was er explizit nicht ausdrücken darf. Jedenfalls klaffen die beiden Welten so auseinander, dass man es kaum glauben kann. Herr Achmed hat anscheinend überhaupt keine Einsicht in sein eigenes widersprüchliches Verhalten und rechtfertigt es mit schönen Worten, redet sich etwas ein und glaubt selbst daran. Er ist ein eitler Gockel, der sich für den stärksten, geistreichsten und feschesten Mann hält.

    Seine devote Ehefrau Amina – die bezeichnenderweise immer nur mit Vornamen genannt wird - ist ihm untertänigst zu Diensten und wagt es nicht, aufzumucken. Anfangs hielt ich sie für eine Lebenskünstlerin, die sich mit den unabänderlichen Gegebenheiten abgefunden hat und das Beste aus ihrem Leben macht. Doch nach und nach legt Machfus die Verdrängungsmechanismen offen und mir wurde Amina mit ihrer Unterwürfigkeit zunehmend unsympathischer, zumal es auch Gegenmodelle gibt.

    Wir erfahren im Weiteren eine Menge über die fünf Kinder, ihr Verhalten und ihren weiteren Lebensweg, ebenso gewinnt man ein interessantes Bild über dieses Viertel von Kairo. Das wird in weiteren zwei Bänden fortgesetzt, denn dies ist der erste Teil einer Trilogie.

    Auch wenn ich einige Personen abscheulich finde, ist es großartig, wie Nagib Machfus die Familienmitglieder charakterisiert und wie er ihr Umfeld beschreibt, diese uns fremde, orientalisch anmutende Welt. Ein endgültiges Urteil über diese so heuchlerische Welt, über eine Gesellschaft, wo Doppelmoral so weit verbreitet scheint, möchte ich noch nicht fällen, bevor ich nicht noch mehr von Machfus gelesen habe. Ich vermute aber, dass er durch die extreme Darstellung dieses Familienvaters Kritik an der Unterdrückung der Frauen und der heuchlerischen Gesellschaft mit Doppelmoral üben möchte, das aber nicht allzu offen tun will.

    Auch hier fällt die Sprache auf: opulent, reichhaltig, manchmal vielleicht ein wenig zu blumig, orientalisch anmutend eben. Im Ganzen ist es ein empfehlenswertes, gut zu lesendes Buch. Ich werde auf jeden Fall Band 2 lesen.