Inhaltsangabe zu "Benoni"
Benoni, Postbote in einem Ort in Nordland und völlig aussichtslos verliebt in Rosa, wird von dem reichen Kaufmann Mack angeheuert und zum Fischfang vor die Lofoten geschickt – und schließlich fast zu dessen rechter Hand. Um sich Benonis zu versichern, überredet der allmächtige Mack sein Patenkind Rosa, sich mit diesem zu verloben. Benoni ist außer sich vor Glück, aber dann taucht Rosas verschollener Verlobter Nikolai wieder auf – die Katastrophe ist vorprogrammiert. Wunderschön und zugleich urkomisch, mit atemberaubenden Schilderungen der Natur, der Nächte, in denen es nie dunkel wird, der wilden Stürme, der Lofotenfischerei, wo die Männer monatelang auf dem Meer sind. »Mein Lieblingsbuch!« – sagt Gabriele Haefs. Braucht es noch mehr, um diesen Klassiker des Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun anzupreisen, dem Gabriele Haefs mit ihrer Neuübersetzung seinen originalen Glanz zurückgeschenkt hat?
Benoni Hartvigsen - Ein norwegischer Hans im Glück
Knut Hamsun (1859 – 1952) bekam 1920 den Literatur-Nobelpreis verliehen, später geriet er durch seine Kollaboration mit den Nationalsozialisten als Mensch in Verruf. Es lohnt sich jedoch, Hamsuns Werk davon zu trennen. Im vergangenen Jahr las ich „Hunger“, jetzt „Benoni“, weiteres wird bestimmt folgen. Ich bin von Hamsuns Schreibkunst sehr angetan.
Der Titelheld Benoni lebt Ende des 19. Jahrhunderts in einer kleinen Gemeinde im norwegischen Nordland. Wie alle Bewohner seiner Heimat ist er Fischer von Beruf. Außerdem trägt er alle 14 Tage die Post aus, was ihm ein zusätzliches Einkommen und vor allem auch hohes Ansehen beschert. Er schwärmt heimlich für die Pfarrerstochter Rosa, die jedoch mit dem Küstersohn Arentsen verlobt ist und nicht seiner Klasse entspricht. Als er eines Tages Rosa unterwegs im Wald begegnet, müssen sich die beiden in einer Höhle vor dem Regen schützen. Dabei werden sie beobachtet, es entsteht amouröses Gerede, welches Benoni regelrecht anheizt ohne Rücksicht darauf, dass er dem Ruf der jungen Frau damit schadet. Das hat Folgen für ihn selbst: „Doch jetzt fasste das Leben Benoni nicht mehr mit Samthandschuhen an. Seine Prahlerei und seine schändlichen Behauptungen beim Weihnachtsschnaps waren nun endlich in der Nachbargemeinde und bei Pastors Rosa angelangt. Damit brachen schlimme Zeiten an.“ (S.11)
Benoni fällt. Niemand will mehr mit ihm verkehren, auch seine Tätigkeit als Postbote muss er aufgeben. Als er genug gelitten hat, schaltet sich der einflussreiche, wohlhabende Kaufmann Ferdinand Mack ein, der auch gleichzeitig der Pate Rosas ist und über die Gemeinde wie ein König regiert. Offenbar hält er viel von dem jungen Mann und würde auch eine Verbindung zwischen Rosa und Benoni gutheißen. „Wenn der Kaufherr Mack auf Sirilund einem anderen Menschen etwas Gutes oder etwas Böses tun wollte, war er mächtig genug dazu. Und seine Seele war schwarz und weiß zugleich.“ (S. 15) Damit wird der Kaufmann prägnant beschrieben.
Benoni ist fleißig, begabt und ehrlich. Mit Macks Protektion kommt er zu Ansehen, Vermögen und schließlich zu einer Verlobung mit der schönen Rosa. Das Auf und Ab in Benonis Leben bildet den Kern dieses Romans, den auch weitere lebendige, interessante Figuren bevölkern. Man partizipiert am Leben in den Fischerdörfern und den Sorgen der einfachen Menschen, die sich in festgefügte soziale Strukturen und Hierarchien einordnen müssen. In der Nebenhandlung lernt man auch die Jurisprudenz und gerichtliche Besonderheiten kennen, mit deren Hilfe auftretende Streitigkeiten geklärt werden. Auch dieser Teil ist ausgesprochen kurzweilig ins Geschehen eingebunden.
Der Roman liest sich leicht. Ein allwissender Erzähler stellt Figuren und Handlung vor. Er weiß mehr als alle anderen, er bewertet, urteilt, warnt und wendet sich direkt an die Leser – nicht immer ganz ernsthaft und mit viel Ironie vorgetragen. Dadurch wird der Leser beeinflusst. Man darf durchaus schmunzeln. „Benoni“ hat etwas Märchenhaftes, er erinnert zeitweilig an einen ‚Hans im Glück‘. Er ist eine facettenreiche Figur: einerseits klug und diszipliniert, andererseits überheblich und naiv. Er bekommt einen Gegenspieler zur Seite gestellt, der ebenfalls um Rosa wirbt sowie einen Freund, der sich zum treuen Ratgeber entwickelt und selbst in Liebesnöte verstrickt ist.
Knut Hamsun schreibt lebendig, er benutzt keine wörtliche Rede und spielt mit den Zeiten. Generell ist der Text im Präteritum verfasst. Jedoch wechselt er immer wieder ins Präsens, wenn etwas unterstrichen oder herausgehoben werden soll. Als Leserin habe ich an diesen Stellen eine stärkere Unmittelbarkeit wahrgenommen.
Man spürt Hamsuns Liebe zur Heimat in jedem Satz. Im Großen und Ganzen zeichnet der Autor eine harmonische, von körperlicher Arbeit geprägte Welt, der aber große Schicksalsschläge erspart bleiben. Die Figuren wurden vielseitig gestaltet, auf extreme Charaktere wurde verzichtet und einen richtigen Bösewicht sucht man vergebens. Mir hat die verbrachte Zeit im Nordland sehr gut gefallen. Trotz aller Leichtigkeit überzeugen Hamsuns literarische Qualitäten auch in diesem weniger bekannten Roman.
Offenbar ist „Benoni“ der Auftakt zu einer Trilogie, auf deren zweiten Teil im letzten Satz des Romans hingewiesen wird und von dem ich hoffe, dass er bald in ebenso ansprechender Ausstattung (Halbleinen, liebevolle Details) und in grandioser Übersetzung von Gabriele Haefs im Kröner Verlag erscheinen wird. Zu erwähnen sind das informative Glossar sowie das bereichernde Nachwort der Übersetzerin.
Ich möchte eine riesige Leseempfehlung für diesen abwechslungsreichen Klassiker aussprechen, der auch Freunde von Selma Lagerlöf begeistern sollte. Unbedingt lesen!