Die Jungfrau: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Jungfrau: Roman' von Monika Helfer
3.75
3.8 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Jungfrau: Roman"

Zwei Jugendfreundinnen – die eine reich, die andere arm. Nach einem halben Jahrhundert begegnen sie sich wieder. Der neue Roman von Monika Helfer. Gloria und Moni sind beste Jugendfreundinnen – die eine reich, die andere arm. Ein halbes Jahrhundert später begegnen sich die beiden Frauen wieder und Gloria beichtet ihr Lebensgeheimnis: Nie hat sie mit jemandem geschlafen. Früher kam Gloria immer gut an, war exzentrisch und schön, wollte Schauspielerin werden, war viel unter Menschen. Gloria und Moni wachsen auf im Mief der sechziger Jahre, sind konfrontiert mit Ehe, Enge und Gewalt. Wie wurden die beiden zu denen, die sie sind? Monika Helfer macht aus Lebenserinnerung große Literatur. Nach der Trilogie über ihre Familie und Herkunft ist „Die Jungfrau“ ein atemloser Roman über die jahrzehntelange Freundschaft zwischen zwei Frauen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:152
EAN:9783446277892

Rezensionen zu "Die Jungfrau: Roman"

  1. Ziehen sich Gegensätze doch an?

    Für mich war "Die Jungfrau" das erste Buch von Monika Helfer. Ihre Vorgängertrilogie, in der sie familiäre Beziehungen verarbeitet, war mir zwar ein Begriff, gelesen habe ich sie allerdings noch nicht. Insofern war ich sehr gespannt auf den neuen Roman, von dem ich allerdings im Vorfeld nicht wusste, dass er ebenfalls autobiografische Züge trägt: Dieses Mal geht es um die Auarbeitung von Monikas Beziehung zu einer ehemaligen Jugendfreundin: Gloria. Es scheint, dass in den letzten Jahren auch in der deutschsprachigen Literatur autobiografische Romane an Bedeutung gewinnen. Allerdings scheinen sie mir oft von der Konzeption her so anders im Vergleich zu dem, was beispielsweise der norwegische Starautor Karl-Ove Knausgard in seiner Lebensschau betreibt. Mitunter habe ich den Eindruck, dass die AutorInnen der Leserschaft ihr Leid klagen, um so Erlebtes zu verarbeiten. Fällt solch eine Bilanz negativ aus, nimmt sie oft Züge einer Abrechnung an, mindestens eines Klageliedes. Das mag ich nicht so gerne. Ich erwarte von der Literatur neue Denkanstöße, Ausflüge in andere Welten. Die Geschichten dürfen von mir aus durchaus autobiografisch angehaucht sein, sollten aber mehr zu bieten haben, wie zum Beispiel Knausgards Bücher, die auch sehr viel Geistesgeschichte implizieren und insgesamt ein regelrechtes Feuerwerk entzünden.

    Man ahnt es, Helfer konnte mich mit ihrer autobiografischen Schreibweise nicht überzeugen. Was ist denn an der Jugendfreundschaft zu Gloria letztlich so besonders, dass es für Dritte lohnenswert erscheint, darüber zu lesen? Bis zum Ende des Buches habe ich darauf leider keine Antwort erhalten. Die Freundschaft erscheint mir doch recht gewöhnlich. Zudem bleiben letztlich zentrale Fragen, die zu Beginn des Romans aufgeworfen werden, auch komplett ungeklärt. Das kann ich Helfer nicht nachsehen.

    Doch worum geht es genau? Als Glorias 70. Geburtstag naht, kontaktiert deren Nichte Monika. Sie bittet im Namen der Tante um einen Besuch. Im Bewusstsein des nahenden Todes sehnt sich die Jugendfreundin danach, dass Monika ihr eine besondere letzte Ehre erweist: Sie soll über sie schreiben, eine Seite vielleicht. Dass aus der einen Seite nun ein ganzes Buch geworden ist, wissen wir. Helfer beschreibt in diesem ihre Beziehung zu Gloria, insbesondere zu Jugendzeiten. Beide sind Außenseiter, stammen aus Familien, die vom Idelabild weit entfernt sind. Ihre Lebenswelten haben darüber hinaus kaum etwas gemeinsam: Gloria kommt aus guten, betuchten Verhältnissen, verspürt allerdings einen Mangel an mütterliche Liebe und Zuneigung. Monika hingegen stammt aus vergleichsweise recht bescheidenen Verhältnissen. Auch haben die Mädchen andere Ambitionen: Während Moni schon früh den Wunsch verspürt, Schriftstellerin zu werden, hat es Gloria die Schauspielerei angetan. Überhaupt scheint sie Ruhm und Schönheit anzustreben. Moni hat ihr Ziel erreicht. Sie wurde Schrifstellerin und heiratete früh, was zum Abbruch der Freundschaft führte. Glorias Bilanz fällt wohl negativer aus. V.a. beschäftigt sie ein gesellschaftlicher Makel, den sie ihrer ehemaligen Jugendfreundin nun unvertraut. Sie ist zeitlebens Jungfrau geblieben. Sie, die immer weit mehr von den Jungs umschwärmt war als Moni.

    Will man dies wirklich so genau wissen? Oder all die Details, die Monika Helfer nun über die Freundschaft an die Öffentlichkeit bringt? Wozu könnte dies interessant sein? Ich habe für mich keine Antwort auf die Frage gefunden. Die Geschichte hat mich nicht berühren können. Gloria schneidet schlecht ab, aber wir erfahren im Grunde genommen ja auch alles aus Monis Sicht. Insofern finde ich die Freundschaft sehr einseitig beschrieben. Ich hatte auch immer wieder den Eindruck, dass Monika sich die Seele frei schreibt. Okay, Gloria bat darum, dass über sie geschrieben wird. Aber wirklich auf eine solche Weise?

    Während mich die Sprache grundsätzlich angesprochen hat und ich die Thematik in einer stärker fiktionalisierten Form durchaus ansprechend finde, gefällt mir das Ende überhaupt nicht. Genau die Fragen, die zu Beginn aufgeworfen werden, bleiben am Ende offen. Das finde ich sehr unbefriedigend. So bleibe ich nun etwas ratlos zurück. Schlecht fand ich das Buch widerum auch nicht. Von daher kann ich mir vorstellen, es noch einmal mit der Trilogie zu versuchen. Mal sehen...

  1. 3
    19. Sep 2023 

    Eine Enttäuschung

    Eigentlich dachte Monika Helfer mit „ Löwenherz“, dem Buch über ihren Bruder, das Schreiben über ihre eigene Familien- und Lebensgeschichte zu einem Ende gebracht zu haben. Doch nun hat sie nachgelegt, „ Die Jungfrau“. Hier nähert sie sich, über den Umweg Gloria, der Freundin, ihrem eigenen jugendlichen Ich an und erzählt dabei auch manches über ihr jetziges Leben.
    Seit frühesten Schultagen waren Moni und Gloria Freundinnen. Beide waren die Kleinsten ihrer Klasse, beide waren Außenseiter. Doch ansonsten trennten sie Welten. Moni lebte seit dem frühen Tod der Mutter mit zwei ihrer Schwestern bei einer Tante und deren Familie; sieben Menschen auf engstem Raum in einer winzigen Wohnung in der Südtirolersiedlung. Gloria dagegen wohnte in einer riesigen Villa, gemeinsam mit ihrer Mutter. Über ihren Vater weiß sie nichts, erschafft sich einen in ihrer Phantasie.
    Moni ist fasziniert vom Reichtum und dem Lebensstil, der dort gepflegt wird. Über Jahre hinweg verbringt sie jeden Tag bei der Freundin. Trotzdem ist die Freundschaft auch eine Last für sie, engt sie ein.
    Später bricht der Kontakt zwischen den beiden Frauen ab, bis Moni an ihrem 70. Geburtstag einen Brief erhält. Gloria will sie vor ihrem Tod noch einmal sehen. Ein Wunsch, der einem Befehl gleichkommt.
    Wie so oft, wenn man Menschen aus der Vergangenheit begegnet, verfällt man in alte Rollenmuster. So auch hier. Moni macht sich für den Besuch besonders chic, Gloria dominiert wie früher das Gespräch. Und sie bittet die Freundin: „ Ja, Moni, schreib eine Seite über mich, denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da.“
    Es werden dann doch mehr als eine Seite, aber ein umfangreiches Buch ist es nicht geworden, die Geschichte von Gloria und Moni.
    Monika Helfer schreibt wie gewohnt in extrem verdichteter Form und sie springt in den Zeiten, denn „ die Erinnerung schert sich wenig um Chronologie“. Episoden aus der Vergangenheit wechseln sich ab mit Verrichtungen in der Gegenwart, Gesprächen mit ihrem Mann und Reflexionen über das Schreiben. „ Es gehört ja zu den Glücksmomenten beim Schreiben, wenn ohne viel Nachdenken ein Satz entsteht, der den Schreiber selbst zum Nachdenken anregt.“
    Deutlich wird dabei, dass dies keine Freundschaft auf Augenhöhe war. Moni fühlte sich oft unterlegen, nicht nur aufgrund ihrer Armut. Nein, Gloria galt auch immer als die Schönere; auf sie mit ihrem Schmollmund und ihrem hoch aufgebundenen Rossschwanz fielen die Blicke der Männer. Und auch noch nach vierzig Jahren kommt bei Moni der alte Groll wieder hoch. Dabei könnte Moni triumphieren. Hat sie nicht alles geschafft, während ihre Freundin mit dem glamourösen Namen nun alt und einsam in ihrer Villa lebt?
    Was ist aus den Mädchenträumen von damals geworden?
    Gloria wollte Schauspielerin werden, ein Beruf, der zu ihr passt, denn „ sie spielt“. Sie besteht sogar die Aufnahmeprüfung am renommierten Max Reinhardt Seminar in Wien, beginnt eine Affäre mit einem verheirateten Professor dort. Doch sie bricht ab, zieht zurück ins Haus ihrer Mutter, wo sie auch nach deren Tod bleibt, ja, deren Rolle einnimmt.
    Moni dagegen hat nicht nur ihren Traum, Schriftstellerin zu werden erfolgreich umgesetzt. Nein, sie hat auch im Privaten eine weitaus bessere Bilanz vorzuweisen. Nach der frühen ersten Ehe, die gescheitert ist, lebt sie seit Jahrzehnten glücklich mit ihrem zweiten Ehemann, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier zusammen und ist Mutter von vier Kindern.
    Während Gloria nach eigenem Bekunden immer noch Jungfrau ist.

    Das klingt nun alles sehr interessant. Aber warum konnte mich dieses Buch überhaupt nicht erreichen? Es ist derselbe Monika-Helfer- Sound, der mir in „ Die Bagage“ und „ Vati“ so gefallen hat. Dieselbe Sprache, dicht und vieldeutig, mit klugen Beobachtungen und Reflexionen auch hier.
    Was mich dort berührt und gepackt hat, hat mich hier emotional überhaupt nicht bewegt. Ich konnte im Verlauf der Lektüre immer weniger Interesse für diese Frauenfreundschaft aufbringen.
    Gloria mit ihrem Exaltiertheit und ihrem manipulativen Verhalten hat mich genervt, obwohl man sie bedauern müsste. Aber auch Monika Helfer hat bei mir Sympathiepunkte verloren. Oder sollte ich die ehrliche und schonungslose Art, wie Monika Helfer ihre Moni porträtiert, bewundern?
    Oder soll ich den gesamten Text als Roman lesen?
    Irritiert hat mich schon, als ich in Interviews las, dass die Autorin ihre Figur Gloria aus verschiedenen Vorbildern konstruiert hat. Da die Eckdaten stimmen, bin ich hier von einem autofiktionalen Text ausgegangen. Aber dafür waren manche Episoden zu unglaubwürdig.
    Auch wenn die Leserunde hier mir die Augen geöffnet hat für verschiedene Bedeutungsebenen und literarische Verweise, so lässt mich doch die Lektüre unbefriedigt zurück.
    Die Autorin verhandelt spannende Themen, Herkunft und Klasse, Familie und Freundschaft, Prägungen und die Frage nach einem gelungenen Leben. Aber darüber habe ich schon bessere Texte gelesen. Schade!

  1. starker Schreibstil, schwache Hauptfigur

    Die Jungfrau von Monika Helfer

    Die Jungfrau ist der vierte autofiktionale Roman von Monika Helfer, diesmal ist eine Jugendfreundin der Gegenstand ihrer Erinnerungen.
    Vor dem ersten Kapitel in einem kurzen Vorspann, schafft sie eine Idylle auf dem Land mit jähem Ende. Man sieht zwei kleine Mädchen auf einer Steinbank sitzen, mit leiser Radiomusik im Hintergrund. Ein Schuss beendet die Szene, der eben noch anschaulich beschriebene Hahn wird dadurch grausam zerfetzt.

    Die Erinnerungen an ihre Jugendfreundin sind noch lebendig in Monika. Dies erfährt man, als sie zu einem Besuch zu ihrer schwer erkrankten Freundin fährt. An ihrem 70. Geburtstag erhielt sie den Brief einer Nichte, dass Gloria schwer erkrankt sei und den Wunsch hat, sie noch einmal zu sehen. Angekommen blickt sie zurück und schon bei der Beschreibung der jugendlichen Gloria, bei der Wirkung, die sie auf die Männer - auch auf die der Autorin oder auf die Lehrer - machte, zeigt Monika Helfer große Erzählkunst. Beim Vergleich, den sie mit den einzelnen Körperteilen der beiden Freudinnen anstellt, schneidet sie stets positiver ab, trotzdem war Gloria für alle die Hinreißende und Zauberhafte. Beschreibungen ihres Besuchs und Erinnerungen wechseln sich ab und es gelingt der Autorin mit sehr wenigen Worten, in kurze Sätze verpackt, beim Leser viele anschauliche Bilder auszulösen.

    Die starke Bindung der beiden ungleichen Freundinnen wird vielleicht verstärkt durch ihr gestörtes Verhältnis zu ihren Vätern. Monika wurde nach dem Tod ihrer Mutter mit ihren Geschwistern zu Verwandten abgeschoben, Gloria erfindet sich ihren Vater nach ihrer Fantasie. Ihre Mutter erzählt ihr immer wieder andere Geschichten über ihn, nicht Nationalität, nicht Aufenthaltsort entsprechen der Realität. Beide finden den Halt aneinander, der ihnen zum Vater fehlt und als Monika nach einem Streit droht, die Verbindung endgültig zu lösen, renkt Gloria schnell wieder ein. Sie brauchen einander. Schließlich will Gloria mit Monika nach Amerika wohin sie sich ihren Vater erfindet.

    Monika Helfer schreibt zu Beginn des dritten Kapitels: „die Erinnerung schert sich wenig um Chronologie......wer meine Geschichte liest, muss sich damit abfinden.“ Und so muss ich als Leser ihre wilden Gedankensprünge mittragen. Erinnerungen an die Zeit der Jugend mit Gloria, mit der Mutter von Gloria, an das Haus, die kleine Wohnung im Obergeschoss, die ihre hätte werden können und Glorias Erlebnisse ohne Monika wechseln sich ab mit eigenen Erlebnissen, mit Berichten von Gesprächen mit Michael heute und auch mit Klara, Glorias Nichte, die Angst um ihr Erbe hat, und manches andere. Das trägt m.E. nur durch ein so dünnes Buch, das man eigentlich nicht als Roman bezeichnen kann und nur, wenn man es in einem Stück liest. Und es trägt auch nur deshalb, weil Monika Helfer es versteht, sehr anschauliche Bilder zu erzeugen, Dialoge klingen wahrhaftig, man hört die Personen sprechen und die Gespräche vertiefen das anschauliche Bild, das von ihnen gezeichnet wurde.

    Gegen Ende des Buches wird es immer schwieriger mit der Figur Glorias ein ganzes Buch zu füllen. Daher schreibt Monika Helfer viel über sich selbst, über ihre erste Ehe, ihre Hochzeit, ihren Schwiegervater.......Lückenfüller??

    Traurig ist die Lebensbilanz Glorias. Sie war ein sehr begabtes Mädchen, die keinerlei Hilfe erhielt, etwas aus ihren Fähigkeiten zu machen. Sie ist in wirtschaftlich guten Verhältnissen aufgewachsen, in der Schule hatte sie Erfolg, trotzdem wusste sie nichts mit ihrem Leben anzufangen. Die Mutter war mehr mit sich selbst beschäftigt und es konnte keine wirkliche Bindung entstehen von Erziehung zu schweigen. Einen Beruf hat Gloria nie erlernt, die Schauspielschule abgebrochen, niemals im Leben die Befriedigung einer beruflichen Tätigkeit erlebt, ebenso erfolglos war sie in ihren Liebesbeziehungen.

    Im letzten Drittel lässt das Buch sehr nach, war für mich nicht mehr glaubhaft, weder das Verhalten mit dem Liebhaber und seiner Frau noch der Vater im Pflegeheim und ich war froh, am Ende zu sein. Knappe 4 Sterne

  1. Am längeren Hebel

    Es gibt Herzensbücher, andere, die mir nicht gefallen und viele Abstufungen dazwischen. Eine weitere Kategorie ist glücklicherweise eher selten: die, deren Lektüre ich bedauere, weil sie mir eine geschätzte Autorin oder einen liebgewordenen Autor verleiden. Zuletzt ist mir das 2020 bei "Das Gewicht der Worte" von Pascal Mercier passiert und nun leider mit "Die Jungfrau" von Monika Helfer. Dabei sind beide Bücher stilistisch großartig und Monika Helfer glänzt erneut durch maximale Verdichtung, geniale Zeit- und Gedankencollagen, packende Reflexionen über das Schreiben und ihren gewohnt lakonischen Ton. Anders jedoch als in ihren autofiktionalen Familienromanen "Die Bagage" und "Vati", die ich begeistert gelesen habe, hat mich das kleine Buch über ihre fiktive, aus mehreren Vorbildern zusammengesetzte Jugendfreundin Gloria nach starkem Beginn zunehmend abgestoßen.

    Eine ambivalente Beziehung
    Die Motivation für die ungleiche Mädchenfreundschaft, so man sie überhaupt als solche bezeichnen kann, war von Beginn an gänzlich verschieden. Die begüterte, talentierte, hübsche und vaterlos aufwachsende Gloria brauchte ein ihr unterlegenes, manipulierbares Publikum und wollte mit Hilfe der Ich-Erzählerin Moni der Einsamkeit mit ihrer psychisch kranken Mutter entkommen. Für Moni dagegen bot Glorias feudale Umgebung Glanz und Fluchtmöglichkeit aus häuslicher Enge und Armut. Dafür opferte sie ihre Freiheit und andere Freundschaften und war zwischen 13 und 18 Jahren fast jeden Tag in Glorias feudaler Villa, dem „Geisterhaus“ (S. 79), „friedlichen Märchenungeheuer“ (S. 59) und „prächtigen Hausmonster“ (S. 71). Faszination, Neid und Wut hielten sich die Waage, gerne nutzte sie Gloria als Telefonseelsorgerin während ihrer missglückten Hochzeitsreise und ärgert sich gleichzeitig bis heute, sie „immer vorgelassen“ (S. 32) zu haben.

    Ein Flashback
    Monis frühe erste Ehe und Mutterschaft ließen den Kontakt einschlafen, erst an ihrem 70. Geburtstag erreicht sie ein Brief von Glorias Nichte mit der Bitte um einen Besuch. Die ehemalige Freundin ist in einem erbärmlichen Zustand, ihr Leben krachend gescheitert, abgebrochenes Schauspielstudium, Rückkehr nach Hause, kränkelnd seit dem Tod der Mutter vor 30 Jahren. Nicht einmal ihre Jungfräulichkeit hat sie verloren, wie sie Moni anvertraut, verbunden mit einer Bitte:

    "Ja, Moni, schreib eine Seite über mich, denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da." (S. 17)

    In Moni flammt mit dem Wiedersehen alte Wut erneut auf:

    "Während ich mit Wut auf die Tastatur klopfe, ärgere ich mich über Gloria nicht weniger, als ich mich damals geärgert hatte. […] Wofür man sich vor fünfzig Jahren rächen wollte, das ist nicht verziehen.“ (S. 84)

    Mangelnde Größe
    Spätestens hier hatte mich der Roman, fiktional oder nicht, verloren. Dass die jugendliche Moni Glorias Bedürftigkeit inmitten ihrer Reichtümer nicht erkennt, ist verständlich. Aber dass sie beim Anblick der gescheiterten Gloria auftrumpft und nur einzelne Höhepunkte ihres Scheiterns aufzählt, um sie ihren eigenen Erfolgen gegenüberzustellen, hat mich abgestoßen. Denn anders als der Titel vermuten lässt, steht nicht Gloria im Mittelpunkt, sondern Moni: ihre Befreiung aus der ersten Ehe, die zweite Ehe mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, die vier Kinder und ihre späten schriftstellerischen Höhenflüge. So interessant ich diese Passagen fand, so wenig kann ich das Nachkarten einer doch zweifellos klugen Frau verstehen. Warum akzeptiert sie widerwillig Glorias Wunsch, um ihn dann zu konterkarieren?

    Weitere autofiktionale Romane von Monika Helfer mag ich nun nicht mehr lesen. Sollte sie das Genre wechseln, mache ich vielleicht einen neuen Versuch.

  1. 4
    13. Sep 2023 

    Beziehung in Schieflage

    Monika Helfer erzählt in ihrem kurzen Roman „Die Jungfrau“ die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft zweier Frauen – Gloria und Monika. Dabei wird der Begriff Freundschaft in dieser Geschichte arg strapaziert, denn es fragt sich: Kann man diese Beziehung wirklich Freundschaft nennen? Ja, die beiden Mädchen verbringen seit der Kindheit viel Zeit miteinander und erleben Vieles gemeinsam. Aber nein, es kommt nie zu einer gleichberechtigten Beziehung zwischen den beiden. Vieles fühlt sich lesend eher an wie ein bewusst geschaffenes Abhängigkeitsverhältnis voller Unwuchten – eine Beziehung in Schieflage.
    Gloria lebt mit ihrer Mutter in einem großen und fast möchte man sagen verwunschenen Haus auf unkonventionelle Art und Weise. Um den abwesenden Vater wird ein großes Geheimnis gemacht, ohne dass er aber wirklich vermisst werden würde. Man lebt auf großem Fuß, wirft etwas unkontrolliert Geld regelrecht aus dem Fenster und gewährt der aus wirtschaftlich ärmeren Verhältnissen stammenden Monika großzügig Zugang zu dieser außergewöhnlichen privaten Welt.
    Gloria und Monika erscheinen in der Schulzeit unzertrennlich. Was aber diese Beziehung vor allem ausmacht, ist, dass Gloria ihre kleine Freundin vor allem dafür braucht, permanent bewundert zu werden. Und Monika wiederum labt sich in und an der Strahlkraft ihrer „Freundin“, von der einiges, so erhofft sie sich, auf sie selbst zurückstrahlt. Gloria ist auf jeden Fall die, die den Ton angibt, und die noch oben strebt und ihre Freundin (in Grenzen!) mit sich (hinauf) ziehen möchte.
    Die intensive Schulfreundschaft wird gefestigt durch verrückte Erlebnisse wie eine Reise nach Zürich, auf der die beiden Mädchen große Welt spielen und Gloria das Ziel hat, endlich ihre Jungfräulichkeit zu verlieren.
    Monika heiratet nach der Schule, lebt ein recht gut funktionierendes Familienleben und arbeitet als Schriftstellerin. Was aus Gloria wird, die eigentlich auf die Schauspielschule gehen wollte, bleibt unklar. Jedenfalls hockt sie in hohem Alter, als sie sich wieder ihrer alten Freundin Monika erinnert, immer noch in dem verwunschenen, großen Haus und scheint im Stillstand verharrt zu sein. Über eine junge Verwandte schickt sie nach Monika, um, ja warum eigentlich? Ist es Nostalgie? Möchte sie sie einfach nochmal sehen? Jedenfalls folgt Monika wie früher gewohnt wieder dem Ruf der Freundin und so lebt die Beziehung noch einmal auf und führt zu Erinnerungen und Rückschauen, wodurch wir als Leser diese besondere Freundschaft vor Augen geführt bekommen.
    Mein Fazit: Ein psychologisch sehr interessantes Buch über eine Beziehung in permanenter Schieflage. Die Art von Freundschaft, die man nicht leben möchte. Oder vielleicht doch? Lebt Monika nicht tatsächlich durch diese ach so ungleichgewichtige Freundschaft auf? Monika ist hier zwar diejenige, die immer im Schatten der so glänzenden Gefährtin steht, aber ist sie deshalb ein Opfer? Nein, ganz sicher nicht. Den positiveren Lebensentwurf hat Monika für sich geschaffen. Mit Realismus und Durchsetzungsvermögen hat sie sich ein Leben aufgebaut, in dem es diese besonderen Erinnerungen an eine besondere Beziehung gibt. Während Gloria nicht nur keine sexuellen Erfahrungen machen („Die Jungfrau“), sondern auch keine wirklichen Akzente in ihrem Leben setzen konnte. Auf welcher Seite hebt sich am Ende die Waage in die Höhe? Ist es nicht eher Monikas Seite der Waage?
    Also: eine psychologisch fesselnde Figurenkonstellation, literarisch gut in Szene gesetzt und deshalb ein Roman, für den es von mir 4 gute Sterne gibt.

  1. Eine ungleiche Freundschaft

    Mit "Die Jungfrau" von Monika Helfer wollte ich endlich auch einmal einen Roman der Autorin lesen, da ich von den drei Vorgängern nur gutes gehört hatte. Waren meine Erwartungen deshalb zu hoch?

    Es handelt sich hier um eine autofiktionale Geschichte, in der Helfer am Beispiel von Gloria, einer sehr exzentrischen Frau, versucht mit dieser Freundschaft abzuschließen.
    Sie begann in früher Jugend, die zwei hatten in der Schulzeit oft gemeinsam Spaß, aber wenn man Helfer glauben schenken darf, hat sie sich auch da nie ganz und gar wohl gefühlt. Da Moni sehr beengt und eher ärmlich aufwuchs, spielte sich alles bei der Reichen Gloria zu Hause ab, die mit der Mutter allein im Überfluss in einem großen Haus wohnte. Für Moni muss es schwer gewesen sein mitzuerleben wie Dinge gekauft wurden, um sie dann irgendwo herumliegen zu lassen.
    Während des Lesens wird allerdings auch an anderen Beispielen klar wie unterschiedlich nicht nur die Lebensverhältnisse der beiden waren, auch die Gesinnung der beiden hätte unterschiedlicher nicht sein können.
    Helfer macht sich oft Luft, prangert an, lässt Gloria nicht gut dabei wegkommen, und dennoch geht sie hin, als Gloria sie im hohen Alter sehen will.
    Der Titel des Buches leitet ein wenig in die Irre, da das Thema Jungfräulichkeit nicht abschließend geklärt wird, dafür gibt es zu viele wage Andeutungen, die man so oder so auslegen konnte. Warm wurde ich mit dem Titel erst recht nicht, für mich spiegelt der Titel wieder, wie unausgegoren diese vermeintliche Freundschaft war. Sonst hätte man doch sicher etwas anderes gewählt.

    Die Passagen die sich um Helfers sonstiges Leben drehen haben mir gut gefallen, doch leider überwiegt der Teil um Gloria und die dazugehörigen Eskapaden.
    Der Schreibstil konnte mich überzeugen, er gefiel mir ausnehmend gut, aber ich fand weder Zugang zu Gloria, noch konnte ich nachvollziehen, warum Helfer dem Leser alles auf diese Art und Weise verpackte.
    Schade, mein Plan eine neue Autorin für mich zu entdecken ist in diesem Fall nicht aufgegangen.

  1. Schonungslose Analyse einer Jugendfreundschaft

    Zu ihrem 70. Geburtstag bekommt Ich-Erzählerin Monika Post von ihrer Jugendfreundin Gloria, die die Bitte formuliert, dass Monika alsbald zu ihr kommen soll – Glorias baldiger Tod sei zu erwarten. Seit über 40 Jahren haben sich die beiden nicht mehr gesehen. Am stärksten verbunden fühlten sie sich während ihrer Teenagerjahre. Die Einladung wirbelt erloschen geglaubte Emotionen wieder auf. Monika erinnert sich an verschiedene Erlebnisse aus der gemeinsamen Schul- und Jugendzeit. Sie blickt mit dem Abstand und der Reife ihrer Lebensjahre zurück auf die Freundin, die mit ihrer Mutter in einer ehrwürdigen Villa lebte, während sie, Monika, zusammen mit ihren Geschwistern mutterlos bei der Tante in armen Verhältnissen untergebracht war.

    Doch die materiellen Unterschiede sind nicht das einzig Trennende. Wie alle Jugendfreundschaften hat auch diese Höhen und Tiefen erlebt. Sie zeichnet sich durch eine große Ambivalenz aus, schwankt zwischen Vertrauen, Neid, Wut und Argwohn. Obwohl die Mädchen jede freie Minute miteinander verbringen, stehen sie nicht nur in Bezug auf ihre Schulleistungen in einem Konkurrenzverhältnis, sondern auch in punkto Schönheit und Attraktivität. Monika resümiert: „Wie damals, als wir Schülerinnen waren. Jemand, der ohnehin im Vordergrund steht, muss sich nicht drängen. Und im Vordergrund steht sie, weil jeder sie vorlässt. Weil ich sie immer vorgelassen habe. Aber heißt das auch, dass sie auf diesem Posten glücklich war?“ (S. 32)

    Doch auch Glorias Biografie weist Verletzungen und Brüche auf. Hinter der Exzentrik einer Diva verbergen sich Fragilität und Bedürftigkeit. Schaut man die Lebensbilanz an, steht heute Monika als die glücklich verheiratete Schriftstellerin offenbar besser da. Gloria ist ledig geblieben, hat nie eine erfüllende Liebesbeziehung erlebt. Ihre Ambitionen als Schauspielerin scheiterten, Träume platzten. Sie fühlt sich nun krank. Fast hinfällig liegt sie auf dem Kanapee, von wo aus sie Anweisungen gibt wie in alten Zeiten. Sehr geschickt verbindet die Autorin die gegenwärtige Zeitebene mit den assoziativen Reflexionen der Erzählerin: „Ich springe in den Zeiten, die Erinnerung schert sich wenig um Chronologie, das ist beim Schreiben mein erstes Problem, wer meine Geschichte liest, muss sich damit abfinden, darum bitte ich.“ (S. 49) Gloria äußert selbst den Wunsch, dass Monika über sie schreiben soll: Damit etwas von ihr bleibt, wenn sie längst gestorben ist. Diesen Stab nimmt die Autorin auf. Das Schreiben gerät dabei zum Prozess, der mindestens sie selbst ebenso stark beleuchtet wie die Freundin. Man hat den Eindruck, dass dies sehr offen und ehrlich, um größte Authentizität bemüht, geschieht.

    Monika Helfer schreibt in ihrem eigenen Sound. Die Sätze sind auf den ersten Blick einfach strukturiert, dabei aber verdichtet und kraftvoll. Man muss mit Ruhe lesen, um die Zwischentöne komplett zu erfassen. Immer wieder trifft man auf lebenskluge Formulierungen und Weisheiten. Es geht im Kern um die literarische Auseinandersetzung mit einer komplizierten Freundschaft, der sich die Ich-Erzählerin mit größtmöglicher Ehrlichkeit nähert. Dabei nimmt sie billigend in Kauf, auch sich selbst in einem unvorteilhaften Licht zu zeigen. Es steht definitiv nicht nur „die Jungfrau“ Gloria im Fokus des Romans, sondern ebenso sehr die Erzählerin selbst, was dem Roman zunehmend eine hohe Intensität und Glaubwürdigkeit verleiht.

    Die Autorin beherrscht ihr Handwerk, sie hat ihren Text perfekt durchkomponiert. Es gehört etwas dazu, auf unter 150 Seiten eine dermaßen komplexe Geschichte zu erzählen. Viele Passagen greifen dabei ineinander. Nach und nach komplettiert sich das Bild, das der Leser bekommt. Helfer beherrscht die Sprache. Sie lässt Motive berühmter Autoren wie Charles Dickens oder Virginia Woolf einfließen. Sie übernimmt Elemente des Schauerromans oder der Märchenwelt, flechtet Symbole ein. Gekonnt spannt sie ihren Erzählbogen, in dem Anfang und Ende mit starken Bildern perfekt ineinander übergehen.
    Man kann viel entdecken, wenn man sich auf diesen unprätentiösen Text einlässt. Ich hatte das Glück, ihn zusammen in einer ambitionierten Leserunde entdecken zu können. Gemeinsam sieht man einfach mehr, kann ein Buch dieser Art viel besser wertschätzen. Wer Monika Helfers bisherige Romane gerne gelesen hat, sollte auch diesen mögen, sich aber von festen Erwartungen frei machen.

    „Die Jungfrau“ ist ein Buch, das man gewiss auch zum zweiten Mal mit Gewinn zur Hand nehmen kann. Das Cover deutet übrigens auf den Inhalt des Romans mit großer Symbolkraft hin. Da hat der Verlag Liebe zum Detail gezeigt.

    Große Leseempfehlung!

  1. Glorias trügerischer Glanz

    Gloria, die geliebte, verhasste Freundin, ist die titelgebende Figur von Monika Helfers Roman „Die Jungfrau“. Nach jahrzehntelanger Sendepause befiehlt Gloria Monika, sie zu besuchen und überrascht sofort mit einem Geständnis. Diese Begegnung löst bei Monika eine Erinnerungsflut aus, die eindrucksvoll Schlüsselmomente einer Freundschaft zweier Mädchen bzw. junger Frauen beschreibt und zur Analyse freigibt.

    Der Titel des Romans ist trügerisch, denn in „Die Jungfrau“ geht es gar nicht so sehr um die glamouröse, exzentrische und letztlich gescheiterte Gloria, sondern vielmehr um die Selbstcharakterisierung Monikas, um eine mehr oder weniger bewusste Selbstenthüllung, denn Monikas Umgang mit ihren Erinnerungen, ihre Sichtweise auf die damaligen Ereignisse und vor allem auch ihr Verhalten gegenüber ihrer Freundin und deren Nichte werfen einen schonungslosen, wenn auch sehr nachvollziehbaren, und vor allem faszinierend wertfreien Blick auf sie selbst.

    Glorias Funktion als Figur ist es, diese Untiefen im Charakter und Verhalten Monikas zu entlarven, sie für Monika selbst und den Leser sichtbar zu machen, denn – das liegt in der Natur dieses Romans – Monika weiß sehr viel mehr über sich selbst, als sie je über Gloria wissen wird. Die Faszination der Geschichte liegt für mich darin begründet, dass Monika sich selbst der Freundin gegenüber oberflächlich betrachtet immer unterlegen fühlt, insgeheim aber um die eigene Stärke weiß. Aus der Kontrastierung der beiden Frauen geht die Erzählerin klar als Siegerin hervor, während die glamouröse Freundin schließlich als abhängig, kindlich, naiv, unreif, bedürftig und ewiges Mädchen entlarvt wird. Beide spielen ihre Rollen und diese spielen sie gut.

    Bei aller aufgrund der Handlung und Erzählhaltung angedeuteten Authentizität handelt es sich dennoch um einen Roman, der deutlich seine eigene Fiktionalität unterstreicht, wenn die Erzählerin mit Blick auf Virginia Woolf feststellt: „Beschrieben ist die Natur etwas völlig anderes. Etwas Gemachtes eben.“ (S. 39) Und so bedient sich Helfer auch zur Darstellung der engen, von Hassliebe vergifteten und von Schauspielerei angereicherten Beziehung der beiden Frauen zahlreicher Anleihen aus der literarischen Tradition des Schauerromans. Der Leser bekommt es mit einem riesigen Haus mit vielen unbewohnten Zimmern zu tun, dem zuzutrauen ist, dass es Menschen verschlingt. Es gibt eine mehr oder weniger geheime Wohnung im Dachgeschoss, in der es zu einer recht denkwürdigen Szene kommt, Gloria selbst erscheint in ihrer Figurenzeichnung wie die sprichwörtliche Jungfrau in Nöten, die errettet werden muss, über der ganzen Geschichte schwebt eine Atmosphäre des Bedrohlichen, Elemente des Freudschen „Unheimlichen“ – nicht umsonst erwähnt die Erzählerin Freuds Traumdeutung.

    So wird „Die Jungfrau“ zu einer komplexen psychologischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, denn im Mittelpunkt des Textes steht der Ausruf: „Was ein Ich alles zustande bringt!“ (S. 39) Ein anspruchsvolles Leservergnügen, dass erst bei genauerer Betrachtung und vielleicht bei mehrfachem Lesen so recht enthüllt, was alles in ihm steckt.

  1. Viva la Diva

    Als Monika Helfer am 70. Geburtstag Post von ihrer langjährigen Schulfreundin Gloria erhält, ist sie überrascht, denn zu dieser hatte sie seit Jahren keinen Kontakt mehr. Nun ist die Frau offenbar schwer erkrankt und wünscht sich, dass die Autorin über sie schreibt, bevor Gloria stirbt. Kein leichtes Unterfangen für Monika, denn die Beziehung zu der einst so glamourösen und exzentrischen Frau war einerseits durch Nähe und Vertrauen geprägt, andererseits aber auch durch Lügen und Wut. Doch Monika stellt sich dieser Herausforderung und begibt sich zurück in die 60er-Jahre, als ein Mädchen wie Gloria immer nur auffiel und nicht hineinpassen wollte in die verstaubte Nachkriegsgesellschaft...

    Nach der Trilogie um Monika Helfers "Bagage" ist "Die Jungfrau" der neueste Roman der Bestseller-Autorin, der kürzlich bei Hanser erschienen ist. Erneut ist er im Bereich der Autofiktion anzusiedeln, doch anstatt eines Familienmitglieds steht diesmal mit Gloria eine höchst ambivalente Freundin im Mittelpunkt des Interesses. Stilistisch bleibt sich Helfer mit ihren kurzen, prägnanten Sätzen und den pointierten und unprätentiösen Beobachtungen hingegen treu. Dabei schont sie weder sich noch die Freundin.

    Der Roman beginnt im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Knalleffekt, der bezeichnend für den Rest des Buches ist. In einer beschaulichen, fast schon transzendentalen Szene, in der zwei Mädchen in ihrer Reinheit einen sommerlichen Sonnenaufgang erwarten - bis ein Schuss den Morgen zerreißt. In der Folge wird es immer wieder so sein, dass die Beziehung der beiden Mädchen durch Aktionen der einen oder der anderen gestört werden. Die reine, freundschaftliche Liebe bleibt so wie das Bild der beiden Mädchen beim Sonnenaufgang eine Illusion.

    Gloria ist keine einfache Person. Das Mädchen lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter in einem riesigen Haus inklusive Hausangestellter. Sie ist reich und verschwenderisch und zieht mit ihrer glamourösen Art die Blicke der Jungen und Männer auf sich. Dennoch bleibt sie laut eigener Aussage bis zum Wiedertreffen der mittlerweile 70-jährigen Frauen die titelgebende Jungfrau. Dieser Widerspruch bleibt nicht der einzige dieses zutiefst zerrissenen Charakters. So wie auch die Freundschaft mit Monika eine widersprüchliche ist. Die beiden können nicht mit-, aber auch nicht ohneinander. Für Monika ist Gloria eine Art Flucht aus dem Alltag und aus der Armut. Andersherum ist Monika für Gloria die Flucht aus der Einsamkeit und Langeweile.

    Bei der Beurteilung des Romans sollte man bedenken, dass er zwar autobiografische Anteile enthält, aber eben ein Roman ist. Ansonsten könnte man Helfer dafür kritisieren, eine Freundin in manchen Szenen doch einigermaßen bloßzustellen. Schon der Beginn spielt mit Fakt und Fiktion. Die Post zum 70. Geburtstag müsste die Schrifstellerin Helfer nämlich 2017 erreicht haben, was in "Die Jungfrau" unmöglich ist, da es später beispielsweise um eine Corona-Infektion geht. In einem Interview mit dem "Standard" stellt Helfer klar, dass Gloria ihre "erfundene Freundin" und aus verschiedenen zusammengesetzt sei.

    Insgesamt beweist Monika Helfer mit "Die Jungfrau" einmal mehr ihr großes schriftstellerisches Können, ihre Weisheit und ihre Begabung, tiefgehende Beobachtungen und Gefühle in wenigen Worten präzise und pointiert wiederzugeben. Was im Vergleich zur Familien-Trilogie fehlt, sind die Empathie und die großen Emotionen, die sich insbesondere in "Die Bagage" und "Löwenherz" so unmittelbar auf die Leserschaft übertrugen. Dennoch ist auch der neue Roman ein sehr lesenswertes Buch, das insbesondere mit der Darstellung der pubertären Monika auch einmal eine ganz andere Seite der Autorin bzw. ihres romanhaften Ichs präsentiert.

  1. Eine toxische Freundschaft

    In Helfers aktuellen Roman erzählt die Autorin von ihrer Jugendfreundin Gloria. Die beiden haben sich aus den Augen verloren und keinen Kontakt mehr gehabt, bis an Monikas 70.Geburtstag ein Brief von Gloria eintrudelt, geschrieben von ihrer Nichte Klara, die sie bittet zu kommen, weil Gloria im Sterben liege.
    So macht sich Moni auf, die einstige Freundin zu besuchen.
    Gloria lebt immer noch in dem einst luxuriösen Haus, in dem sie als Kind und Jugendliche mit ihrer Mutter gewohnt hat. Während Moni aus ärmlichen Verhältnissen stammt, wuchs Gloria im Überfluss auf, allerdings nur in finanzieller Hinsicht. Die Mutter ließ sie in Unsicherheit darüber, wer ihr Vater ist, so dass Gloria sich einen Amerikaner erträumt hat.

    "Irgendwie war es der Mutter gelungen, die Illusion in Glorias Herz zu implantieren. (...) Die Illusion, die Sehnsucht, auch der Hass, die Angst, die Unbefriedigtheit sollen nicht sterben, wenn ich sterbe ... Sie sind mein Erbe." (S.57)

    Es ist eine seltsame Freundschaft, von der Monika Helfer erzählt. Eine Freundschaft, die man heutzutage als toxisch bezeichnen würde. Gloria versucht Moni mithilfe ihres Geldes, ihrer Schönheit, ihrer Schauspielkunst und ihrer Wirkung auf Männer zu imponieren und auch zu übertrumpfen, während sich Moni moralisch überlegener fühlt und sozusagen ihren Wettstreit gewinnt. Denn sie heiratet zuerst, bekommt Kinder, wird eine erfolgreiche Schriftstellerin.

    Nichtsdestotrotz verbindet die beiden Mädchen etwas, letztlich haben sie sich trotz aller Unterschiede und Differenzen gern, aber es reicht nicht, um ein Leben lang konstant in Kontakt zu bleiben.

    Assoziativ erzählt Monika Helfer einzelne Episoden der Freundschaft - nicht in chronologischer Reihenfolge, was sie selbst zum Gegenstand des Romans macht.

    "Im Kopf gibt es die Zeit nicht. So gesehen, ist die Schriftstellerei der Warteraum schlechthin."
    (S. 25)

    "Die Zeit schwindet mir und schwindelt, Vergangenheit und Gegenwart wachsen ineinander. Während ich mit Wut auf die Tastatur klopfe, ärgere ich mich über Gloria nicht weniger, als ich mich damals geärgert hatte. Jahre vergehen, der Rossschwanz bleibt. Was vor fünfzig Jahren weh getan hat, tut immer noch weh." (S.84)

    Das passt zu dem Zitat mit dem Wartezimmer und dass es im Kopf keine Zeit gibt. Die Gefühle sind genauso präsent wie vor langer Zeit. Sie warten darauf, dass man sie aufs Papier bringt.

    Und das hat Monika Helfer getan - in der ihr typischen lakonischen Sprache hat sie die Geschichte ihrer Freundschaft mit Gloria aufgeschrieben und sie gleichzeitig verarbeitet. Das war zumindest mein Eindruck.

  1. 3
    21. Aug 2023 

    Krasse Gegensätze...

    Nach den drei Romanen über ihre Familie ('Die Bagage', 'Vati' und 'Löwenherz') widmet sich Monika Helfer literarisch nun ihrer Jugendfreundin Gloria.

    Kennengelernt haben sich die beiden während der Schulzeit in den 1960er Jahren, nachdem Monikas Mutter gestorben war und das Mädchen mit ihren Schwestern zu ihrer Tante ziehen musste. Armselige Verhältnisse waren das da, sehr beengt die Wohnung, das Geld knapp. Wie gegensätzlich war da Glorias Welt – als Kind einer alleinerziehenden Mutter lebte sie in einer feudalen Villa mit einem riesigen Garten, alles wurde gleich mehrfach gekauft, nur um dann gleich wieder vergessen oder schlimmstenfalls weggeworfen zu werden. Krasser könnten die Gegensätze kaum sein.

    Auch die Persönlichkeiten der beiden Mädchen und der späteren jungen Frauen – irgendwie schien da nichts zusammenzupassen. Die eine bodenständig und eine genaue Beobachterin, damals schon mit schriftstellerischen Ambitionen. Und die andere mit hochtrabenden Zukunfstplänen, den Kopf in den Wolken, mehr in einer Traumwelt lebend als in der Realität. Und der Eindruck, dass es Gloria war, die Monika brauchte, um Halt zu finden in dieser Welt.

    Die Freundschaft der beiden empfand ich beim Lesen als etwas befremdlich. Ich konnte nicht so recht nachvollziehen, wie es dazu kam – und vor allem, weshalb die Freundschaft so lange hielt. Erst mit der Heirat von Monika und der Geburt der Kinder ebbte sie ab, bis sich die Frauen zuletzt vierzig Jahre lang nicht sahen. Erst als Gloria das Gefühl überkam, sie würde nicht mehr lange leben, ließ sie nach Monika rufen – an deren 70. Geburtstag. Immer noch in der alten Villa lebend, ließ sie bei Monika die alten Erinnerungen hochkommen.

    Der Roman wird nicht zwingend chronologisch erzählt, oft sind es nur kurze Erinnerungsfetzen, manchmal längere Geschichten, die hier erwähnt werden. Bei all dem erschien mir Gloria wenig nett, eher skurril bis weltfremd. Dann wieder – trotz all des Reichtums – kam es unerwartet zu obszönen Ausbrüchen, die (bei dem ansonsten angenehm zu lesenden Schreibstil in meist einfachen Sätzen) doch aufstießen.

    "Aber ich erinnerte mich. Gloria konnte sehr ordinär sein. Ihre Mutter auch. Als bräche manchmal bei ihnen ein Tourette-Syndrom durch. Dann lachten sie wie Hexen."

    Durch die Schilderung der Freundschaft zwischen den so ungleichen Mädchen bzw. Frauen bekommt man auch einen kleinen Einblick in die Person und das Leben der Autorin selbst. Zudem reiht sich dieser Roman irgendwie auch in den Reigen der Familien-Trilogie ein und bietet damit eine nette Ergänzung dazu, in der auch bereits bekannte Personen immer mal kurz auftauchen.

    Das Portrait der Freundin empfand ich letztlich doch als lückenhaft und eher unschmeichelhaft, aber es ist immer wieder interessant zu beobachten, wie sehr sich Gegensätze anziehen können. Für mich nicht der beste Roman der Autorin, vielleicht auch aufgrund der eigenwilligen Persönlichkeit von Gloria, die eine Annäherung (beim Lesen) nicht wirklich zulässt. Im "echten Leben" würde ich um solch eine Person vermutlich lieber einen großen Bogen schlagen.

    Da darf man nun gespannt sein, ob es weitere Lebenserinnerungen gibt, die Monika Helfer zu einem Roman verarbeiten wird. Meine Lesebereitschaft wäre jedenfalls gegeben...

    © Parden