Heul doch nicht, du lebst ja noch

Buchseite und Rezensionen zu 'Heul doch nicht, du lebst ja noch' von Kirsten Boie
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Heul doch nicht, du lebst ja noch"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:176
Verlag: Oetinger
EAN:9783751201636

Rezensionen zu "Heul doch nicht, du lebst ja noch"

  1. Absolute Leseempfehlung!

    Klappentext:

    „Hamburg, Juni 1945: Die Stadt liegt in Trümmern. Mittendrin leben Traute, Hermann und Jakob. Der nennt sich allerdings Friedrich, denn niemand soll erfahren, dass er Jude ist. Als Hermann ihm dennoch auf die Spur kommt, will er nichts mehr mit Jakob zu tun haben. Schuld, Wahrheit, Angst und Wut sind die zentralen Themen dieses Buchs, dessen jugendliche Hauptfiguren durch die Schrecken des Krieges und der Naziherrschaft miteinander verbunden sind. Und für die es doch immer wieder Lichtblicke gibt.“

    Das Autorin Kirsten Boie auch mal andere Töne anschlägt in ihren Geschichten, bin ich gewohnt und schätze das auch sehr. Diese Töne sind notwendig um die Kindersicht nicht erblinden zu lassen. Wir müssen immer auf sie hören und sie beachten. In ihrem Buch „Heul doch nicht, du lebst ja noch“ nimmt sie uns mit in die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Hamburg ist Dreh- und Angelpunkt. Die drei Protagonisten nehmen uns an die Hand, obwohl sie selbst eine Erwachsenenhand gebrauchen könnten die sie wieder aufrichtet. Die Geschichte ist fein akzentuiert und für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen hervorragend lesbar. Beide Seiten spricht sie an und geht dabei tief unter die Haut. Boie hält einen roten Faden und spinnt diesen klangvoll bis zum Ende hin durch. Ihre Charaktere gehen durch Wechselbäder der Gefühle und machen Erfahrungen. Besser könnte man es nicht beschreiben. Fest steht auch für Erwachsene: diese Geschichte hallt unheimlich nach und ich bin sehr beeindruckt wie Boie diesen Grat zwischen dem verstehen bei Kindern und dem bei Erwachsenen schafft ohne Kitsch oder Klischee. Sie spricht beide Seiten an ohne dabei irgendwelche Parts zu vergessen oder von der Altersgruppe her zu begünstigen. Chapeau dafür! 5 von 5 Sterne!

  1. Der Krieg ist vorbei und nun?

    Nachdem ich letztes Jahr "Dunkelnacht" mit großer Begeisterung gelesen habe und mich der Jugendroman zu Tränen rührte, war ich auf diesen hier mehr als gespannt.

    In der Geschichte geht es um Traute, Herrmann und Jakob, deren Kindheit nahezu nur aus Krieg bestand. Nun ist dieser vorbei. Doch was bedeutet das für ihr Leben? Wird nun alles schlagartig besser? Aber wie soll das gehen, wo doch ihre Heimatstadt Hamburg in Schutt und Asche liegt?

    Der Jugendroman bildet die Tage 22.06.1945 bis 29.06.1945 ab, also recht kurz nach der Kapitulation und wir begleiten die Kinder im steten Wechsel, denn zu Beginn der Geschichte kennen sich nicht gleich alle.

    Jedes Schicksal für sich ist sehr bewegend und dennoch hat mich am meisten Herrmann fasziniert und das nicht unbedingt aufgrund des verletzten Soldatenvaters, sondern weil er im Verlauf begreift, dass die Ideologie rein gar nichts gebracht hat, die ihm all die Jahre eingebläut worden ist. Wie er mit dieser Erkenntnis umgeht, das hat mich beeindruckt.

    Auch wenn die Geschichte nur gut 180 Seiten mit großer Schrift belegt, so lässt sich das nicht in einem Rutsch lesen, denn das Erzählte berührt und lässt einen immer wieder schlucken. Gerade in der aktuellen Zeit kann man die Schicksale von damals mit denen von heute vergleichen.

    Bei dem vorliegenden Buch sollte man sich meines Erachtens an die Altersangabe ab 14 Jahren halten, denn Jüngere könnten zum Einen Verständnisprobleme haben und zum Anderen zu sehr überrumpelt werden von der Härte der Geschichte.

    Begriffe und Ereignisse werden am Ende des Buches näher erläutert, was ich immer sehr hilfreich finde.

    Fazit: Ein enorm wichtiges Buch, was mit dafür sorgen wird, dass das Schreckliche von damals nie vergessen wird, auf dass dies nie wieder passieren mag. Ich habe es gern gelesen und empfehle es nur zu gern weiter.

  1. Die Opfer des Krieges

    Seit sechs Wochen ist der Zweite Weltkrieg vorbei, doch noch immer versteckt sich der 14-jährige Jakob in einer Wohnruine des zerbombten Hamburg. Bisher hat niemand dem jüdischen Jungen gesagt, dass Deutschland den Krieg verloren hat und er in Sicherheit ist. Derweil trauert der gleichaltrige Hermann seiner Zeit als HJ-Führer hinterher, während Traute ihre Freundinnen vermisst und in den Trümmern des Krieges Anschluss sucht...

    Hinter dem etwas sperrigen Titel "Heul doch nicht, du lebst ja noch" verbirgt sich der neue Jugendroman der Hamburger Autorin Kirsten Boie. Und hätte ich nicht ihren Namen auf dem Cover entdeckt, wäre dieser Roman wohl an mir vorbeigegangen, denn angesprochen hat mich dieser Titel nicht.

    Verpasst hätte ich ein abermals bewegendes und gut recherchiertes Buch, das die - allerdings auch wahrlich überragende - Qualität und Intensität des inoffiziellen Boie-Vorgängers "Dunkelnacht" jedoch nicht erreicht. Dennoch leistet Boie erneut einen wertvollen und wichtigen Beitrag gegen das Vergessen.

    Besonders gelungen ist, dass die Autorin sich konsequent in die Perspektiven ihrer drei jugendlichen Protagonist:innen versetzt. Dabei schafft sie es, sich einer Bewertung zu enthalten. Denn die Figuren sind nicht schwarz-weiß gezeichnet, sondern ambivalent, sie alle machen Fehler, doch sie alle reflektieren auch ihr Verhalten. Es wäre einfach gewesen, den HJ-Jungen Hermann als Antihelden darzustellen, gerade zu Beginn des Romans verhält er sich wie ein klassisches Ekel. Doch in seinem Zuhause erkennen wir einen Jungen, der ebenfalls ein Opfer des Krieges ist. Denn während Hermann von Amerika träumt, wartet daheim ein tyrannischer Vater, der beide Beine im Krieg verloren hat und von Hermann regelmäßig auf die ein Stockwerk tiefer liegende Toilette getragen werden muss.

    Doch im Mittelpunkt steht Jakob, dessen Schicksal stellvertretend für die Verfolgung jüdischer Familien in Hamburg steht, wie Boie auch im Nachwort noch einmal betont. Es ist die wahrlich traurige Geschichte eines Jungen, der vor lauter Angst vor Verfolgung nicht einmal mitbekommt, dass der Krieg längst vorbei ist. Dass nicht auch er in seiner Not einen schwerwiegenden Fehler begeht, verhindert ausgerechnet - Hermann.

    Während die beiden Jungenfiguren und ihre Schicksale den Leser:innen ans Herz gehen sollten, bleibt Traute als einzige weibliche Protagonistin verhältnismäßig blass. Sie spinnt die Fäden eher im Hintergrund, wird leider nicht mehr als eine Art verbindendes Element zwischen den beiden so unterschiedlichen Jungen.

    Ohne etwas über das Ende verraten zu wollen, muss ich konstatieren, dass es mich wirklich schockiert hat. Boie leitet es ein wenig knapp mit den Worten "Bis das Schreckliche passiert" ein. Gerade jüngeren Leser:innen dürfte es einigermaßen schwerfallen, dieses für eine der Figuren erdachte Finale verarbeiten und akzeptieren zu können.

    Der Sprachstil der Autorin ist insgesamt gewohnt empathisch, doch hat es mich diesmal ziemlich gestört, dass sie sehr oft auf Pronomen verzichtet. "Gab ja keine mehr", heißt es dort, oder "Waren weniger und weniger geworden". Mir erschloss sich der Zweck nicht, und auch jugendliche Leser:innen könnten dies etwas seltsam finden. Zudem zieht sich dieser Tonfall durch den kompletten Roman und unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Perspektiven der drei Protagonist:innen, wodurch die Stimmen ziemlich ähnlich klingen - auch die der Erwachsenen.

    Trotz dieser kleineren Kritikpunkte ist "Heul doch nicht..." ein berührender Jugendroman geworden, der für eine Altersgruppe ab 13 Jahren empfohlen wird. Gerade auch an Hamburger Schulen kann ich ihn mir sehr gut als aufregende Lektüre vorstellen. Den Vergleich mit "Dunkelnacht" verliert er aber recht klar.