Das Gedächtnis des Baumes: Inspirierender Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Gedächtnis des Baumes: Inspirierender Roman' von Tina Vallès
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Inhaltsangabe zu "Das Gedächtnis des Baumes: Inspirierender Roman"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:192
Verlag: Diederichs
EAN:9783424351187

Rezensionen zu "Das Gedächtnis des Baumes: Inspirierender Roman"

  1. Verschwinden und erinnert werden

    Die katalanische Autorin Tina Vallès nimmt sich in ihrem Roman „Das Gedächtnis des Baumes“ dem Thema Demenz an.

    Jan ist zehn Jahre alt, als eine große Veränderung für die Familie ansteht. Seine Großeltern verlassen das kleine Dorf Vilaverd und ziehen nach Barcelona in die Wohnung von Jan und seinen Eltern um. Jan, der seine Großeltern sehr liebt und eine besonders enge Bindung zu seinem Opa verspürt, freut sich zunächst. Doch bald merkt er, dass die neue Situation kein Anlass ungetrübter Freude ist. In sehr kurzen Abschnitten erzählt Jan Episoden aus dem neuen Alltagsleben. Veränderungen bisheriger Familienabläufe und gemeinsame Tätigkeiten haben dabei ebenso Platz wie seine Gedanken, Ängste, Träume und auch die glücklichen Momente. Auf dem Schulweg führen Jan und sein an Demenz erkrankter Opa Joan sehr berührende Gespräche, in denen die Natur und vor allem Bäume eine große Rolle spielen. Die beiden tasten sich auch sehr behutsam an Fragen und Antworten, die die Krankheit betreffen, heran. Stück für Stück erhalten wir einen Einblick in längst vergangene Zeiten und erfahren, warum Opa Joan sich so stark zu Bäumen hingezogen fühlt. Vallès Erzählweise besticht durch einen liebevollen Blick auf alle Familienmitglieder, die mit der voranschreitenden Krankheit zurecht kommen müssen. Durch die sehr kurzen Abschnitte lässt sich das Buch sehr schnell lesen. Es lohnt sich jedoch, immer wieder inne zu halten, denn es steckt sehr viel Nachdenkenswertes in diesen kurzen Kapiteln. „Das Gedächtnis des Baumes“ ist ein sehr poetischer, einfühlsamer und leiser Roman, der Demenz nicht beschönigt, aber einen sehr guten Weg aufzeigt, mit der Krankheit umzugehen. Bevor Jans Opa seine Erinnerung komplett verlieren wird und so langsam selbst verschwindet, weiht er seinen Enkel in das Geheimnis der Bäume ein und hilft ihm dadurch die Erinnerung am Leben zu erhalten. Dieser kleine, feine Roman hat mich sehr berührt und bereichert.

  1. Wenn die Erinnerungen verblassen

    Der zehnjährige Jan ist sich unsicher: "Darf ich mich freuen?", fragt er die Eltern, als sie ihm erzählen, dass seine Großeltern künftig gemeinsam mit ihnen in ihrer Wohnung in Barcelona leben werden. Jan ist ein empathischer, feinfühliger kleiner Junge, der spürt, dass etwas Größeres hinter diesem Umzug stecken muss. Nach und nach stellt sich heraus: Großvater Joan, dessen Verbundenheit zu seinem Enkel nur durch das "O" im Vornamen getrennt wird, leidet an Demenz. Wie geht ein Kind damit um, wenn es Schritt für Schritt einen geliebten Menschen verliert? Darüber schreibt Tina Vallès in ihrem kleinen Roman "Das Gedächtnis des Baumes".

    Es ist ein in Form und Inhalt bemerkenswerter Roman geworden - und nicht überraschend, dass das katalanische Original mit dem "Anagram Award" ausgezeichnet und in acht Sprachen übersetzt wurde. Die deutsche Version verströmt in der Übersetzung von Ursula Bachhausen eine Wärme, der man sich schwer entziehen kann.

    Zunächst einmal sollte man sich nicht durch den auf dem Cover etwas irritierenden Zusatz "Inspirierender Roman" verunsichern lassen, der mich zunächst an eine gewisse Esoterik glauben ließ. "Das Gedächtnis des Baumes" ist weit entfernt von irgendwelchen Engeln oder Lebensratgebern. Dennoch ist es ein Buch, das Trost spendet und Mut macht. Besonders Leser:innen, die Erfahrungen mit demenzkranken Verwandten oder Bekannten gemacht haben oder machen, werden sich von der Empathie der Figuren angesprochen fühlen.

    Allen voran ist da der kleine Ich-Erzähler Jan, auf dessen Perspektive sich Tina Vallès voll und ganz einlässt und trotz vieler philosophischer und auch erwachsener Gedanken eben so erzählt, wie ein Kind vielleicht erzählen würde: in kurzen Miniaturen. Jeweils elf kleine Abschnitte bilden zusammen ein Kapitel, von denen der Roman zehn aufweist. Ein Abschnitt geht vielleicht über nur ein paar Zeilen, ein längerer mal über eine Seite hinaus. Eine ungewöhnliche Erzählform, für die ich anfangs eine gewisse Zeit brauchte, um mich im Buch zurechtzufinden und einen Lesefluss aufkommen zu lassen.

    Doch je weiter der Roman - und die Krankheit des Großvaters - voranschreiten, desto intensiver empfand ich den Inhalt und die bisweilen poetische Sprache. Der Zusammenhalt der Familie, die gegenseitige Liebe und Wärme, insbesondere aber die wirklich tiefgründige und ernste Beziehung zwischen Jan und seinem Großvater machen "Das Gedächtnis des Baumes" zu einem unvergesslichen kleinen Juwel.

    Überhaupt nimmt Vallès ihre Figuren so ernst wie sie es verdienen. Die Sorgen des Jungen, die Ängste des Großvaters (oder andersherum) - egal, wie groß oder klein sie sein mögen, die Autorin schenkt ihnen Beachtung und geht gut mit den Charakteren um.

    Insbesondere die Bäume spielen in der Beziehung zwischen den Joans (einer mit, einer ohne "O") eine bewegende und große Rolle. Und so darf man als Leser:in Jan begleiten auf einem langen, schmerzhaften, aber auch tröstlichen Weg, um seinem Großvater endlich das Geheimnis der Trauerweide zu entlocken, die Joan immer und immer wieder erwähnt...

    "Das Gedächtnis des Baumes" ist ein bewegender und äußerst lesenswerter Roman, der einmal mehr die Kreativität der katalanischen Literaturszene unter Beweis stellt. Er bleibt in meinem Gedächtnis.