Der gefrorene Himmel: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der gefrorene Himmel: Roman' von Richard Wagamese
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5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der gefrorene Himmel: Roman"

Erstmals in deutscher Übersetzung - Richard Wagameses wegweisender Roman über das Schicksal eines kleinen Jungen, in dem die Geschichte eines ganzen Landes widerhallt. Saul wächst in einem staatlichen Heim auf – wie so viele Kinder indigener Herkunft. Dem Zwang und der Kälte der Einrichtung kann Saul in den kostbaren Momenten entfliehen, wenn er auf Schlittschuhen über das Eishockeyfeld fliegt. Sein magisches Talent für das Spiel öffnet ihm einen Weg in die Freiheit. Und begleitet Saul auf der Suche nach der Geborgenheit einer Familie, dem kulturellen Erbe der Ojibwe-Indianer und der Versöhnung mit einer Welt, die keinen Platz für ihn vorgesehen hatte.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
EAN:9783896676672

Rezensionen zu "Der gefrorene Himmel: Roman"

  1. 5
    03. Apr 2021 

    Ein Meisterwerk

    Richard Wagamese zählt zu den bedeutendsten indigenen Stimmen Kanadas. Er hat bis zu seinem Tod im Jahr 2017 insgesamt sieben Bücher veröffentlicht. „ Der gefrorene Himmel“ ist 2012 im Original erschienen und nach „ Das weite Herz des Landes“ der zweite auf Deutsch erschienene Roman. Hierin hat der Autor sehr viel aus seiner eigenen Biographie einfließen lassen.
    Hauptfigur und Ich- Erzähler Saul Indian Horse lebt zu Beginn des Romans in einem Zentrum für Suchtkranke und soll als Therapie sein Leben aufschreiben. „ Sie sagten, ich könne nicht verstehen, wo ich hingehe, wenn ich nicht verstehe, wo ich gewesen bin. Ihrer Meinung nach liegen die Antworten in mir selbst.“
    Saul entstammt dem Volk der Ojibwe. Seine Familie hat sich in die Wälder zurückgezogen, dahin, wo schon ihre Vorfahren lebten. Die Großmutter unterweist den Jungen in den alten Ritualen und Lehren seiner Kultur. Doch als diese stirbt - die Eltern hat er schon früh an den Alkohol verloren- wird Saul aufgegriffen und wie viele indigene Kinder in eine sog. „ Residential School“ gebracht. Diese, meist von Nonnen und Patres geführten Schulen, dienten dazu, den Mädchen und Jungen ihre Sprache, ihre Religion und ihre Kultur auszutreiben und sie zum Christentum zu bekehren. Mit den christlichen Werten von Nächstenliebe und Barmherzigkeit hatten diese Heime allerdings wenig zu tun. Die Kinder litten Hunger, wurden regelmäßig gezüchtigt, gedemütigt, bedroht und oftmals noch sexuell missbraucht. Viele überlebten diese Torturen nicht; manche entzogen sich dem Ganzen durch Suizid. Richtiger Schulunterricht fand kaum statt, stattdessen mussten die Kinder hart arbeiten. „ Es gab keine Noten oder Prüfungen. Das Einzige, was geprüft wurde, war unsere Leidensfähigkeit.“ Das bisschen Schulbildung qualifizierte die Kinder später nur zu Hilfsarbeiterjobs. Wenn die Jugendlichen die Heime verließen, waren sie meist traumatisierte und gebrochene Menschen.
    Auch Saul kommt in eine solche Schule. „ St. Jerome‘s nahm alles Licht aus meinem Leben.“ Der sensible Junge zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Bis eines Tages ein junger Pater in dem Heim eine Eishockeymannschaft aufbaut. Das Spiel beginnt Saul zu faszinieren und bald wird sein außergewöhnliches Talent entdeckt. Er findet Anschluss in der Mannschaft und Anerkennung von anderen. Saul ist so begabt, dass er schnell aufsteigt in ranghöhere Teams. Und er schafft den Absprung aus dem Heim und kommt in eine verständnisvolle Pflegefamilie.
    Doch Hockey, der Nationalsport der Kanadier, gilt als ein Sport der Weißen. Solange die „Indianer“ gegeneinander spielen, gibt es keine Probleme. Doch sobald sie gegen weiße Teams antreten, werden sie auf dem Spielfeld nicht nur verbal angegriffen. Wut und Aggression schlagen ihnen entgegen.
    Saul verliert die Freude am Spiel. „ Aber sie ließen mich nicht bloß Hockeyspieler sein. Ich musste immer Indianer bleiben.“ Er beginnt sich zu verändern, wird brutaler und härter ( „Wenn sie wollten, dass ich ein Wilder war, dann würde ich ihnen den Wilden geben.“ ) und schließlich wird der Alkohol sein Begleiter.
    Saul muss sich, um am Ende geheilt zu werden, seinen verdrängten Verletzungen stellen und sich auf die Kraft seiner Kultur besinnen.
    Richard Wagamese hat mit „ Der gefrorene Himmel“ ein unvergessliches literarisches Werk geschaffen. Manches, was er hier schildert, lässt sich zwar nur schwer ertragen. Doch über all die Grausamkeiten hinweg trägt die Sprache: bilderreich und poetisch. Hier ist die große Erzähltradition seines Volkes spürbar. Sensibel beschreibt er die Gefühlslage seines Protagonisten, die Schönheit der kanadischen Landschaft und der Natur lässt er in unzähligen Bildern vor den Augen des Lesers erscheinen. Gleichzeitig vermittelt er einen tiefen Einblick in die Kultur und in die Lebenswelt der Stammesgesellschaft.
    „ Der gefrorene Himmel“ ist ein eindringlicher Roman über ein dunkles Kapitel in Kanadas Geschichte . Wer sich für die Historie dieses Landes und v.a. die der indigenen Bevölkerung interessiert, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Aber auch wer einfach große Literatur lesen möchte, findet daran seinen Gefallen. Es ist zu wünschen, dass der Verlag die anderen Romane dieses Autors ins Deutsche übersetzen lässt. Hervorzuheben ist auch noch das äußerst lesenswerte Nachwort von Katja Sarkowsky, einer Professorin für Amerikanistik, mit dem Schwerpunkt Indigene Literatur, das den Autor, das Buch und seine historische Einbettung genauer beleuchtet.

  1. Ein dunkles Kapitel in Kanadas Geschichte

    Richard Wagamese ist ein indigener kanadischer Autor, dessen Buch „Der gefrorene Himmel“ nun auch in deutscher Übersetzung erschien.

    Was für ein gewaltiges und wichtiges Buch. Er lässt seinen Protagonisten Saul Indian Horse von seinem Leben berichten. Das geschieht rückblickend, als Saul in einer Suchtklinik in Therapiegesprächen von seiner Vergangenheit berichtet, er will nicht sprechen, er schreibt seine Geschichte auf. So taucht der Leser unmittelbar in sein Leben ein. Die ersten Jahre noch in der Obhut der Großmutter, die das traditionelle Leben der Objiewe aufrechterhalten will. Sauls Eltern sind gebrochene Menschen, beide haben die grausamen kanadischen Residential Schools durchlaufen und nach Großmutters Tod, macht auch Saul seine Erfahrungen mit dieser Institution. Unter dem Deckmantel der Erziehung werden die Kinder den Eltern entrissen, Sprache, Tradition, Kultur – das alles soll ausgemerzt werden. Die Schulen selbst sind Verwahranstalten, ein bisschen Lesen und Rechnen, ansonsten wartet harte Arbeit auf Saul. Er sieht die Kinder an Krankheiten sterben, sieht die Suizide der Mitschüler, die keinen Ausweg mehr sehen, wenn die Übergriffe der Patres zuviel werden. Der kleine, schmächtige Saul findet einen Ausweg im Eishockey, das die Kinder im Winter auf dem gefrorenen Feld spielen. Sein Talent fällt auf, er kommt so einer Pflegefamilie und bald werden auch weiße Talentscouts auf ihn aufmerksam.

    Ich konnte dieses Buch nicht aus der Hand legen und musste doch immer wieder Pausen einlegen, sonst hätten mich Grausamkeiten, die Saul er- und überleben muss, überwältigt. Das Buch ist ein Roman, aber wenn man die Lebensgeschichte Richard Wagameses liest, erkennt man durchaus Parallelen. Einen solchen Roman kann man sicher nicht schreiben, wenn man nicht selbst oder aus erster Hand von den Erfahrungen der Indigenen mit den staatlichen Institutionen weiß.

    Aber genauso beeindruckend sind die Schilderung der Natur und der arktischen Kälte auf den Natureisflächen, da findet Wagamese wunderschöne, poetische Beschreibungen, die mich durchatmen ließen.

    Der Autor klagt nicht an, aber als Leser kann ich nicht umhin, den institutionellen Rassismus zu sehen, den die weiße Bevölkerung sicher noch heute zeigt. Ein bemerkenswertes Nachwort ergänzt den Roman.

    Mir fiel auf, dass auch der Gender-Sprache Rechnung getragen wird. So ist der Objiwe Medizinmann ein Medizinmensch, ob das Wagamese im Original so schrieb?