Inhaltsangabe zu "Kafka (Fröhliche Wissenschaft)"
Kafka sammelte seine Manuskripte nicht. Er verschleuderte sie und hinterließ Bruchstücke. Das berühmte Romanfragment Der Process weist keine gesicherte Anordnung der Kapitel auf. Auch die beiden anderen Romane Der Verschollene und Das Schloss blieben Fragment und erzeugen beim Lesen eine Atmosphäre, in der die Grenze zwischen realer Bedrohung und Paranoia verschwimmt. Wenn für Kafka das eigene Schreiben die Matrix war, zu der die Realität in ein Verhältnis der Kongruenz gebracht werden sollte – und wenn nicht, wurde das Geschriebene sofort oder später auf seinen Wunsch hin zerstört –, hat er in sie so viele Löcher gebohrt, bis es keinen Durchschlupf mehr gab. Das Gewebe aus Löchern ist die Matrix, und es ist die Realität: »Im harten Schlag strahlte das Licht herab, zerriß das nach allen Seiten sich flüchtende Gewebe, brannte unbarmherzig durch das übrigbleibende leere großmaschige Netz. Unten, wie ein ertapptes Tier zuckte die Erde und stand still. Einer im Bann des andern blickten sie einander an. Und der Dritte, scheuend die Begegnung, wich zur Seite«. Das Prophetische an diesem Zitat, das den Moment der panisch kontaktlosen Berührung beschreibt, ist das Nichtprophetische. Kafka spricht nicht aus, was er sieht, sondern was er weiß.
So geht Biografie!
Biografien über Personen aus der Antike sind eine besondere Herausforderung, denn meist ist die Quellenlage dürftig und kritisch zu betrachten. Antike Historiker hatten mit ihren Texten nicht den Anspruch, eine möglichst große Annäherung an die historische Wirklichkeit darzustellen, sondern verfolgten immer ein bestimmtes Ziel. Und wie wenn das nicht schon schwierig genug wäre, haben sich im Laufe der Jahrhunderte gerade zu Nero Bilder eingebrannt, die man schwer aus den Köpfen bekommt. Wer hat nicht sofort Peter Ustinov in Quo Vadis vor Augen, wie er mit der Harfe in der Hand das brennende Rom besingt? Schauspielerisch ist der Film von 1951 eine Glanzleistung, historisch aber fragwürdig.
Unter diesen Bedingungen eine so großartige Biografie zu schreiben, wie das Alexander Bätz getan hat, ist ein Paradebeispiel für herausragende Geschichtswissenschaft. Seine Herangehensweise ist den modernen Aspekten einer Strukturgeschichte verpflichtet. Darüber hinaus benennt der Autor bei der Betrachtung der Quellen die Zweifel, entkräftet oder relativiert wo nötig und nachweisbar durch genaue Quellenanalyse, Analogien und gesellschaftliche oder politische Einordnungen klassische Stereotypen im Bild Neros, stellt aber eben immer klar heraus, wenn eine eindeutige Beurteilung nicht möglich ist. Ein guter Historiker ist eben nicht der, der alles zu erklären versucht, sondern der, der die Grenzen benennt, Unbewiesenes hinterfragt und klarstellt, was aufgrund der Quellenlage nicht beantwortet werden kann.
Wer sich für Nero und die frühe Kaiserzeit interessiert, kann ohne Zögern zu dieser Biografie greifen. Wissenschaftlich und methodisch auf der Höhe der Zeit und dabei spannend zu lesen ist dieses Buch ein echtes Highlight. Und wir müssen deshalb alle Peter Ustinov und den Roman von Henryk Sienkiewicz nicht vergessen – im Gegenteil, mit dem neuen Blickwinkeln bieten beide wahrscheinlich noch mehr Genuss.
Und das möchte ich erwähnen: Hier handelt es sich um unbezahlte Werbung, denn das Buch habe ich als kostenloses Rezensionsexemplar vom Rowohlt Verlag erhalten.